29.01.2001
Wellen rassistisch motivierter Gewalt und rechtsextremer Anschläge stehen im Kontext der öffentlichen Diskussionen um Zuwanderung und Asylpolitik in Deutschland. Rechte Straftäter können sich – teilweise durchaus begründet – als mutige Vollstrecker eines breit bekundeten „Volkswillens“ fühlen, was durch entsprechende Stellungnahmen prominenter Politiker unterstrichen wird.

Im hessischen Landtagswahlkampf 1999 und im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf 2000 wurden Fragen der Migration sowie Integration von Zuwanderern in einer Weise zum Thema gemacht, die von rechtsextremen Forderungen und Parolen nur schwer zu unterscheiden war.

NPD, DVU oder REPublikaner, die mit Parolen wie „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ oder „Ausländer-Stopp“ offen rassistische Stimmungen schüren, konnten sich durch solche öffentlichen Bekundungen bestätigt fühlen.

Daher stellt sich bei der Erforschung von Ursachen rassistisch motivierter Gewalttaten die Frage nach dem Kausalzusammenhang zwischen rechtsextremer Propaganda und öffentlichen Diskursen inmitten der Gesellschaft.

Die skizzierte Problemstellung bildet den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung.

Anhand von Verlautbarungen, Interviews und Kommentaren aus rechtsextremen Publikationen wird analysiert, ob und ggf. in welcher Form solche Kräfte bestimmte Diskussionen oder Diskussionsinhalte aus dem etablierten politischen Gefüge für die eigene Agitation und Propaganda umfunktionieren bzw. initiieren, um damit indirekt Einfluss auf demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu nehmen.

Bezugspunkte bilden die Themenfelder „Migration“, „Asyl“, „multikulturelle Gesellschaft“, „demografischer Wandel“ und „Rechtsextremismus“. Hierbei wird methodisch nach den Maßgaben eines selektiven Analyseverfahrens unter Berücksichtigung der verschiedenen Facetten rechtsextremer Organe verfahren und eine begrenzte Anzahl rechtsextremer Aussagen und öffentlicher Interventionen auf die damit verfolgte Intention, Wirkungen und Folgen hin untersucht.

Unter sprachanalytischen und diskurstheoretischen Gesichtspunkten werden anhand konkreter Beispiele rechtsextreme und politisch etablierte Argumentationsmuster zu den genannten Themenfeldern miteinander verglichen. Als Untersuchungsmaterialien und Belegstellen dienen Artikel etablierter Medien sowie Äußerungen führender Repräsentanten des etabliertem Parteispektrums zu den erwähnten Themenkomplexen.

Das Konzept der multikulturellen Gesellschaft gilt der extremen Rechten als Sinnbild für die Zersetzung des von ihr vertretenen völkischen Nationalismus.

Die extreme Rechte hat mit ihren Kampagnen gegen „Ausländer“ selektiven Zuspruch von Vertreter(inne)n des etablierten Politikbetriebs und in renommierten Medien erhalten. Die inhaltliche Überschneidung konservativer, nationalistischer und rechtsextremer Diskurse ist an den aktuellen Debatten um Zuwanderung, Multikulturalismus und Integration erkennbar.

Damit wurden die Positionierungen rechtsextremer Medien gegen Multikulturalismus und Zuwanderung inhaltlich zum Gegenstand etablierter öffentlicher Diskurse.

Mit der Furcht vor „Überfremdung“ durch Menschen anderer „Rasse“, Herkunft oder Kultur korrespondiert die Sorge um Deutschland, seine Zukunft als stärkste Wirtschaftsmacht Europas und das deutsche Volk als größter Ethnie der Alten Welt.

Für die extreme Rechte steht Deutschland bzw. das Abendland heute aufgrund der vermehrten Migration im Zeichen der Globalisierung einerseits und seiner „Vergreisung“, d.h. des demografischen Wandels, vor dem Untergang.

Kassandrarufe, düstere Prognosen bzw. Horrorszenarien demokratischer Politiker und bürgerlicher Presseorgane im Hinblick auf den Niedergang Deutschlands bzw. das Schicksal des deutschen Volkes häufen sich gleichfalls. Teilweise klagen dieselben Kreise, die noch während der Asyldiskussion zu Beginn der 90er-Jahre lauthals „Das Boot ist voll!“ gerufen und jede Form der Zuwanderung mit dieser Begründung abgelehnt hatten, in einem menschenleeren Deutschland könne niemand mehr die Renten der alten Leute aufbringen.

Es ist zu erwarten, dass der Diskurs über den Geburtenrückgang, fehlende (deutsche) Kinder und die Konsequenzen für den „Wirtschaftsstandort D“ bzw. das System der sozialen Sicherung (Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) die öffentliche Meinungsbildung künftig noch stärker beeinflussen wird. Politiker demokratischer Parteien und bürgerliche Medien liefern zum Teil unbewusst regelrechte Traumvorlagen für Rechtsextremisten, die mit ihren Vorstellungen einer pronatalistischen Familien- und aktiven Bevölkerungspolitik wiederum massiven Druck auf die Etablierten ausüben und das öffentliche Meinungsklima bestimmen.

Der völkische Nationalismus, so zeigt unser Blick in rechtsextreme Publikationen, ist identitätsstiftend für den organisierten Rechtsextremismus. Migranten, Flüchtlinge und ethnische Minderheiten sind das Feindbild der extremen Rechten, weil sie durch ihre bloße Existenz deren rassistischen Vorstellungen von einem „homogenen Volkskörper“ widersprechen. Die gesellschaftliche Brisanz des Rassismus in der Bundesrepublik ergibt sich jedoch aus dessen Eindringen in politisch hegemoniale Diskurse. „Ethnopluralismus“, also das Bestehen auf ethnischer Differenz und Abschottung, ist ein Kampfbegriff der sog. Neuen Rechten, welcher – hier sichtbar gemacht an politischen Ankoppelungen rechtsextremer Medien an Diskurse der „Mitte“ – vielfach Eingang gefunden hat in die alltäglichen medialen und politischen Auseinandersetzungen um Zuwanderung und multikulturelles Zusammenleben.

Das Beharren auf ethnischer „Andersartigkeit“, auf „Kulturkampf“, „Belastungsgrenzen“ und Bedrohung im Kontext von Zuwanderung ist zur beinahe selbstverständlichen Argumentationsweise in der öffentlichen Auseinandersetzung geworden. Die aufgeführten Beispiele für eine solche Ethnisierung und Kulturalisierung sozialer, politischer sowie ökonomischer Prozesse belegen, dass sich dieser Prozess quer durch das etablierte politische und öffentliche Gefüge hindurchzieht.

Ethnisierende Zuschreibungen und standortnationalistische Positionen – das zeigen die gewählten Beispiele aus Politik und etablierten Medien – sind in die politische „Mitte“ der Gesellschaft gerückt. Daher hat der viel beschworene „Konsens der Demokraten“ gegen den grassierenden Rechtsextremismus auch eine problematische Note. Denn die dringend notwendige Abwehr von Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus kann nur wirkungsmächtig sein, sofern die Bekämpfung seiner strukturellen Ursachen nicht vernachlässigt wird. Wenn es allerdings um die eigene Mitverantwortung an exzessivem Rassismus sowie Auswüchsen rechtsextremer Militanz geht, wandelt sich der öffentlich proklamierte Antifaschismus der etablierten Politik in eine nahezu kollektive Abwehrhaltung.

Rechtsextremismus wird als etwas „Fremdes“ – herausgelöst aus seinem politischen Kontext – begriffen. „Rechts“ oder „rechtsextrem“ sind demnach nur die „Ewiggestrigen“ oder die „gewaltbereiten Jugendlichen“, die „Skinheads“ oder Parteien wie etwa die NPD. Auf solche wahrnehmbaren oder besser – nicht mehr zu übersehenden – Erscheinungsformen reduziert sich die öffentliche und institutionelle Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.

Medien fixieren sich dabei meist ereignis- und sensationsorientiert auf besonders spektakuläre Vorfälle oder Gewaltverbrechen, um mittels dämonisierender Berichterstattung in entpolitisierender Form die „Abartigkeit“ und „Andersartigkeit“ der Rechtsextremisten hervorzuheben.

Eine derartige Verkürzung und Entpolitisierung der Debatte drängt die strukturelle Entfaltung rassistischer Haltungen und deren systematische Verbreitung im öffentlichen Alltagsleben in den Hintergrund. Zugleich werden Bedrohungsszenarien im Kontext von Zuwanderung entworfen, die Ressentiments und Abwehrhaltungen gegenüber Migranten und Flüchtlingen erzeugen. Dabei ist es gerade die Umdeutung sozioökonomischer Krisenprozesse in ethnische Konfliktkonstellationen, welche dem Rassismus argumentativ Nahrung gibt.

Die propagandistische Negation der multikulturellen Realität verstellt den Blick auf die Frage, ob eine demokratische Gesellschaft heute überhaupt „nichtmultikulturell“ sein kann.

Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus und Rassismus müssten an diese Frage anknüpfen und die Forderung nach Integration sowie Inklusion von Zuwandernden untermauern.. Erst unter diesen Voraussetzungen kann man überhaupt von einer „demokratischen Zivilgesellschaft“ sprechen.