„Jugendlichen Migranten und Arbeitslosigkeit“

Meine Damen und Herren,

wir stehen vor einem gesellschaftlichen Problem: auf der einen Seite haben wir die Arbeitslosigkeit, die Jugendliche mit Migrationshintergrund fast drei mal so stark betrifft. Auf der anderen Seite braucht das Land dringend Fachkräfte, um global wettbewerbsfähig bleiben zu können. Die Greencard-Initiative der Bundesregierung, aus dem Ausland Fachkräfte anzuwerben, hat den erwünschten Erfolg nicht verzeichnet.

Diese Art Problemlösung erscheint mir etwas kurzsichtig. Einerseits wird durch die Hintertür das vor langen Jahren verworfene Rotationsprinzip bei der Zuwanderung wieder salonfähig gemacht; andererseits mehren sich stetig die sozialen Konflikte, die als Folge der Jugendarbeitslosigkeit entstehen.

Wir wissen alle, es ist viel preiswerter, Ausbildungsplätze für Jugendliche zu finanzieren, als für die Folgekosten der Jugendarbeitslosigkeit aufzukommen. Um es anschaulich zu machen: 95 % der jugendlichen Inhaftierten mit Migrationshintergrund haben keine Berufsausbildung. Diese Jugendlichen wurden weitgehend hier geboren und wuchsen hier auf. Sie waren keine Zuwanderer.

Ich meine, die Politik darf sich nicht ausschließlich auf die Zuwanderung von Fachkräften konzentrieren. Viel wichtiger ist die Qualifizierung der hier lebenden Jugendlichen, egal ob Einheimische oder Zugewanderte. Allerdings erfordert die besondere Benachteiligung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund auch besondere Anstrengungen von der Gesellschaft. Bisher haben wir nicht ausreichende Erfolge auf dem Gebiet verzeichnen können. Deshalb bleibt dies eine der wichtigsten Aufgaben der Politik.

Die Sonntagsreden der Politiker und ihre Appelle an die privaten Arbeitgeber, diesen Jugendlichen Ausbildungsplätze anzubieten, reichen meiner Ansicht nach nicht aus. Vor allem reicht es nicht aus, die Arbeitgeber mit Migrationshintergrund für die Lösung dieser Aufgabe stärker heranziehen zu wollen. Selbstverständlich sollen auch diese Arbeitgeber sich stärker für die Lösung dieses Problems einsetzen.

Sie setzen sich sowieso ein, weil diese Jugendliche zweisprachig sind und die Branchen der Arbeitgeber mit Migrationshintergrund oft Zweisprachigkeit erfordern. Doch ihre Kapazitäten sind begrenzt und sie können beim besten Willen nicht allein das Problem lösen.

Für die besondere Benachteiligung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund werden in den Fachkreisen drei Hauptgründe genannt: Das sind:

– schlechtere Schulabschlüsse
– Mißtrauen der Mehrheitsgesellschaft gegen sie
-Ungenügende Kenntnisse über das Berufsspektrum in Deutschland.

Auf der anderen Seite werden die Fähigkeiten dieser Jugendlichen kaum wahrgenommen. Ich glaube, wir benötigen eine Perspektivenkorrektur, damit die Migration insgesamt nicht nur als Defizitfaktor, sondern auch als Qualitätsmerkmal angesehen wird. Meiner Auffassung nach haben Jugendliche mit Migrationshintergrund wichtige Fähigkeiten, die es einzusetzen gilt. Das sind:

– Zweisprachigkeit
– große Flexibilität
– starke Einsatzbereitschaft
– neue Denkansätze bei der Lösung von Fachproblemen

Ich meine, die starke Benachteiligung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund kann man auch nicht alleine mit den oben erwähnten drei Gründen erklären. Denn beispielsweise finden auch solche unter ihnen mit guten Schulabschlüssen oft auch keinen Ausbildungsplatz.

Meine Damen und Herren,

Es geht darum, wie unsere Gesellschaft mit der Migration und den davon betroffenen Menschen, namentlich Migrantinnen und Migranten, in den letzten 50 Jahren umgegangen ist. Dieser Personenkreis wurde bisher fast immer mit einem Ansatz der Defizitbeseitigung wahrgenommen und behandelt. Ihre Stärken wurden weitgehend ignoriert, wenn nicht sogar als Defizit betrachtet.

Wir müssen künftig auch die Stärken der Migration und der von ihr betroffenen Menschen viel mehr in den Mittelpunkt unserer Diskussionen stellen, um sie für gesamt gesellschaftliche Belange einsetzen zu können. Private Firmen machen das vor. Beispielsweise wenden die Ford-Werke ihr sogenanntes “diversity”-Programm an, nutzen darin die Vielfalt der Kenntnisse ihrer Arbeitskräfte und optimieren dadurch ihre Produktionssteigerung.

Nach meiner Auffassung müssen die öffentlichen Arbeitgeber bei der Lösung dieses Problems eine wesentlich stärkere Rolle als bisher, viel mehr eine Vorbildrolle, spielen. Bisher hängen sie aber der Industrie und dem Handwerk weit hinterher. Schließlich stellt die öffentliche Hand eine der größten Arbeitgeber im Lande dar. Ihre Vorreiterrolle bei der Ausbildung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund wird neben dem Beschäftigungseffekt auch eine Signalwirkung auf übrige Arbeitgeberschichten darstellen. Gute Beispiele, wie bei der Polizei in NRW, sollten Schule machen und verbreitet eingesetzt werden.

Zur Situation der Migranten-Jugendlichen im Öffentlichen Dienst möchte ich von einer Untersuchung an der Universität Bremen zitieren.

„Die übergroße Mehrheit deutscher und ausländischer Jugendlicher bringt sowohl die nötigen Schulleistungen wie auch die prinzipielle Migration mit, die für eine Faktische jedoch ist der Anteil an BerwerberInnen ausländischer Herkunft in diesem Sektor auch in den ihnen prinzipiell zugänglichen Ausbidlungsberufen mit unter 5 Prozent gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil marginal.

Eine zentrale Ursache für diese äußerst geringe Migrantenbeteiligung ist die mangelnde Transparenz des vom öffentlichen Dienst angebotenen breiten Ausbildungsspektrums.

Eine Konsequenz der Informationsdefizite ist eine sehr hohe Relevanz des internen Arbeitsmarktes für die Rekrutierungspraxis im öffentlichen Dienst. Soweit den Befragten der Rat für eine Bewerbung im öffentlichen Dienst erteilt wurde, kamen diese Vorschläge zu über 80 % aus dem privaten Umfeld, während die institutionalisierte Berufsberatung hier kaum in Erscheinung tritt.

Junge MigrantInnen haben deshalb kaum Zugang zum internen Ausbildungsmarkt Öffentlicher Dienst, weil ihre Eltern extrem selten in diesem Sektor beschäftigt sind. Dies wirkt sich umso stärker als Ausbildungsbarriere für die ausländischen Jugendlichen aus, als sie ihren Eltern überproportional häufig einen starken oder sehr starken Einfluss auf ihre Berufswahl attestieren.

Die demokratisch aber auch von der Qualität der Dienstleistungen her (Stichwort ‘Interkulturelle Kompetenz’) gebotene Öffnung des öffentlichen Sektors für MigrantInnen setzt eine Erhöhung der Transparenz des Ausbildungsangebotes im öffentlichen Dienst voraus.

Dazu ist die bisherige Öffentlichkeitsarbeit zu evulieren und zielgerichteter auszurichten. Bislang erfahren MigrantInnen kaum etwas über ihre Ausbildungsmöglichkeiten in den Gebietskörperschaften, da sie vom Hauptinformationsstrang, dem internen Arbeitsmarkt, weitgehend ausgeschlossen sind.

Die Ansprache sollte sich sowohl an die ausländischen Jugendlichen, als auch an deren bei der Berufswahl einflussreichen Eltern richten.

Um dies zu erreichen und damit den öffentlichen Dienst als Beschäftigungssektor öffentlicher zu machen, böte sich der Aufbau von lokalen Netzwerken an, in denen die öffentlichen Arbeitgeber sowohl mit den institutionellen Beratungseinrichtungen (primär Schule/Bildungsbehörde und Arbeitsamt) aber auch den einschlägigen Migrantenorganisationen als zentrale Multiplikatoren kooperieren.

Des weiteren wäre die ethnische Öffnung öffentlichen Beschäftigungssektors durch eine Beseitigung rechtlicher Barrieren zu forcieren. So bleibt jungen MigrantInnen ohne deutsche oder gleichgestellte (EU)Staatsbürgerschaft der Weg in mittlere Beamtenlaufbahnen in der Regel versperrt, da eine solche Staatsangehörigkeit bereits am ersten Tag der Ausbildung vorliegen muss. Eigenständig können MigrantInnen die deutsche Staatsangehörigkeit jedoch erst im Alter von 16 Jahren beantragen.

Hier könnten Möglichkeiten zur Novellierung der Beamtengesetze der Länder gesucht werden, die auf eine gleichberechtigte Berücksichtigung von MigrantInnen hinwirken.“

Vorteile der Beschäftigung der MigrantInnen im öffentlichen Dienst:

1. Signal an die privaten Arbeitgeber
2. Fähigkeit der MigrantInnen ausschöpfen
3. Gegen Rassismus

Zu fordern:

1. Mindestquote bei der Vergabe der Ausbildungsplätze
2. Staatsangehörigkeitsrecht novellieren
3. Beamtenrecht novellieren