Rede von Tayfun Keltek am 20.03.2000 in Recklinghausen bei der  Veranstaltung „Europa eine Seele geben“

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
meine geehrten Damen und Herren,

ich soll in dieser Eröffnungsveranstaltung „Europa eine Seele geben“ und über Fremdenliebe sprechen.

Ich möchte dazu einen türkischen Journalisten aus Hessen zitieren: „Ihr lebt in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu den anderen Bundesländern zwanzig Jahre im voraus“.

Trotz der niederträchtigen Mordanschläge in Mölln, in Solingen, gegen Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund als Deutsche kann ich diese Aussage für unseren Alltag in NRW bestätigen. Ich könnte viele positive Beispiele nennen. Das darf uns nicht zufriedenstellen. Das friedliche Zusammenleben der Einheimischen und der Zuwanderer ist keine Selbstverständlichkeit. Es muß von allen Beteiligten aktiv unterstützt, ausgebaut werden. Diese Veranstaltung ist ein guter Beitrag dazu. Es wäre sinnvoller, anstatt ein paar gute Maßnahmen für die Fremdenfreundlichkeit in NRW aufzuzählen, einige Gedanken zu formulieren. Fremden gegenüber vorsichtig, mißtrauisch zu sein, ist in allen Gesellschaften eine natürliche Haltung der Menschen. Diese Haltung darf nicht langfristig zur Distanzierung von Fremden, zu Vorurteilen gegen sie führen, wenn wir vor allem mit ihnen zusammenleben müssen.
Das ist in erster Linie die Aufgabe der führenden Kräfte der Gesellschaft, diesen Tendenzen etwas entgegenzusetzen, objektive Informationen über Zugewanderte zu verbreiten. Sonst werden Fremde anstatt zu Freunden zum Sündenbock der Gesellschaft gemacht. Objektive Informationen über Fremde führen zur Bereitschaft der Mehrheit, die Minderheit in die Mitte der Gesellschaft aufzunehmen.
Die neuerliche Aussage von Herrn Rüttgers „Kinder statt Inder“ führt bestimmt nicht zu Fremdenfreundlichkeit.

Meine Damen und Herren,

es gibt selbstverständlich in der Bundesrepublik Deutschland Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Das darf aber nicht dazu führen, daß wir uns ständig mit den Merkmalen des Rassismus beschäftigen und positive Ansätze zur Fremdenfreundlichkeit in unserer Gesellschaft ignorieren. Eine positive Lebenseinstellung brauchen wir alle. Deshalb finde ich den Titel Ihrer Veranstaltung „Europa eine Seele geben“ und „Fremdenliebe“ sehr gut.

Meine Damen und Herren,

wir erleben immer wieder, daß in der Auseinandersetzung mit den uns fremden Kulturen die Unterschiede zur eigene Kultur in den Mittelpunkt der alltäglichen Diskussion gestellt werden, was zu den anderen Kulturen anstatt einer Brücke eine Distanz schafft.

Die Welt ist klein geworden. Wir haben nicht nur für unsere Gruppe eine Verantwortung, sondern für die gesamte Menschheit.
Wir können uns nicht den Luxus leisten, von den Unterschieden der Kulturen zu leben. Wir müssen unsere Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Wir haben ohne wenn und aber viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede.
Dies heißt nicht, daß wir die Unterschiede ignorieren sollen, sondern wir müssen unseren Gemeinsamkeiten erste Priorität geben, die die Pfeiler einer Brücke ausmachen.

Meine Damen und Herren,

zum Schluß eine Bemerkung:

Die Sprache ist ein Indiz für den Umgang mit den Fremden. Das heißt, daß wir uns nicht unbewußt instrumentalisieren lassen. Die zusammengesetzten Hauptwörter drücken in der Regel im Zusammenhang mit dem Fremden etwas Negatives aus.
Zum Beispiel: Ausländerkind, Türkenladen. Statt dessen sollte man Adjektive benutzen, zum Beispiel ausländisches Kind, türkischer Laden.

Wenn ich durch diese Bemerkung einen kleinen Beitrag zum sensiblen Umgang mit der Sprache leisten kann, wäre ich sehr froh.

In diesem Sinne wünsche ich Ihrer Veranstaltung viel Erfolg.