Von der Ausländerbehörde zur Willkommensbehörde
14. November 2023Abschlussveranstaltung „Vielfalt schätzen, Rassismus ächten! Erinnern – Aufarbeiten – Handeln“
27. November 2023Schlusswort auf der Abschlussveranstaltung „Vielfalt schätzen, Rassismus ächten! Erinnern – Aufarbeiten – Handeln. Eine Kooperationsveranstaltung des Landtags NRW und des Landesintegrationsrats NRW zum 30. Jahrestag des Brandanschlags in Solingen“, 21. November 2023, 18:00 Uhr, Landtag NRW
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Schmeltzer,
Ich möchte mich zunächst bei Ihnen für die Kooperation im Gedenken an die Opfer des Brandanschlags von Solingen vor 30 Jahren herzlich bedanken.
Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir heute im Landtag, im „Herzen“ unserer Demokratie in Nordrhein-Westfalen sind und diese Gedenkveranstaltung hier und mit Ihnen durchführen.
Ich begrüße unser ehemaliges Vorstandmitglied, Bundestagabgeordnete Gülistan Yüksel.
Ich begrüße Fraktionsvorsitzende der Bündnis90 Grünen Frau Schäfer und die Angeordneten: Herr Panske, Herr Haug, Herr Okos, Frau Eglence, Frau Bostancieri, Frau Besche-Krast, Herr Zimmermann, Frau Busche, Frau Weng, Herr Neumann, Frau Teschlade, Herr Wedel und das ehemalige Vorstandmitglied des Landesintegrationsrates NRW Volkan Baran.
Ich begrüße ganz herzlich unsere Integrationsministerin Frau Paul und unseren Finanzminister Herr Dr. Optendrenk. Ohne Ihre politische und finanzielle Unterstützung hätten wir diese zahlreichen Veranstaltungen nicht verwirklichen können, herzlichen Dank.
Liebe Frau Paul! Mein Dank gilt auch für Ihre Mitarbeiter/innen, mit ihnen wir konstruktiv gut zusammenarbeiten!
Des Weiteren heiße ich unsere Staatssekretäre Herr Bahr und Herr Höller willkommen. Ich darf den griechischen Generalkonsul Herr Koinis herzlich begrüßen.
Auch unsere langjährige Partnerin und Freundin DGB Vorsitzende Anja Weber darf ich begrüßen.
Selbstverständlich möchte ich ganz herzlich Damen und Herren der Familie Genç begrüßen, die uns bei unseren vielen Aktivitäten unterstützen.
Ich bedanke ich mich vor allem bei den Integrationsratsmitgliedern , die uns in den Kommunen und auch in den landesweiten Aktivitäten bei diesem Projekt unterstützt haben!
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde.
Auch wenn der Anlass ein trauriger Anlass ist, ist es mir eine außerordentliche Freude, Sie alle heute hier begrüßen zu dürfen. Das traurige Ereignis vor 30 Jahren in Solingen hat unser Land, die hier lebenden Menschen, tief berührt. Wir erinnern uns heute nicht nur an die Opfer dieses schrecklichen Brandanschlags, sondern auch an die Stärke der Familie Genç und aller Menschen, die trotz unterschiedlicher Herkunft gemeinsam gegen Intoleranz und Hass kämpfen.
Am 29.05.1993 starben
Gülsüm Ince,
Hatice Genç,
Gülüstan Öztürk,
Hülya Genç,
und Saime Genç,
nachdem ihr Haus von Rechtsextremisten in Brand gesetzt wurde.
Ich erinnere mich noch genau an den großen Schmerz, die Wut und die tiefe Verunsicherung, die dieses schreckliche Ereignis in mir ausgelöst hat.
Für eine Weile war ich davon überzeugt, dass ich Deutschland verlassen musste. Und so ging es nicht nur mir. Große Angst machte sich in der Türkei-stämmigen Bevölkerung breit, ahnten doch alle, dass der Anschlag genauso gut ihnen hätte gelten können. Die Welle von rassistischen Gewalttaten wie in Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und andere, die Deutschland Anfang der 1990er Jahre im Kontext der damaligen Asyldebatte erschütterte, brannte sich in das kollektive Gedächtnis der Menschen mit internationaler Familiengeschichte ein und wirkten sich nachhaltig auf das Zusammenleben von Alteingesessenen und Neueingewanderten aus.
Es wäre zu erwarten gewesen, dass Rassismus eine unmissverständliche Absage erteilt wird und den Opfern zur Seite gestanden wird. Unabdingbar wären politische Signale gewesen, die das Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland und das Vertrauen in den Staat gestärkt hätten.
Die Antwort auf Ausgrenzung und Gewalt hätten Anerkennung und rechtliche Gleichstellung sein müssen. Eine Kultur des Willkommens, die Wertschätzung der Herkunftsidentität, Herkunftssprache in den Schulen, doppelte Staatsangehörigkeit und die Einführung des kommunalen Wahlrechts für alle Ausländer/innen sind wichtige Stichworte in diesem Zusammenhang.
Ich werde nie müde, über den gesellschaftlichen Kontext des Solinger Brandanschlages und die verpassten Chancen danach zu sprechen. Zum einen, weil wir die Auswirkungen bis heute spüren. Zum anderen, weil die Fehler von damals immer wieder wiederholt werden. Nach wie vor wird Politik viel zu oft auf dem Rücken von Menschen mit internationaler Familiengeschichte gemacht und Hass und Zwiespalt gesät. Auch Vertreter der demokratischen Parteien fungieren auch nicht selten als Stichwortgeber für die AfD und andere rechtsextreme Parteien, die auf diese Weise immer stärker werden.
Meine Damen und Herren!
Ich möchte nicht unterschlagen, dass es stets auch positive Entwicklungen und Zeichen der Solidarität gibt. Nach dem Solinger Brandanschlag hat uns unser damaliger Ministerpräsident Johannes Rau mit seiner menschlichen und emotionalen Betroffenheit Mut gemacht. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat als politisches Signal die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert. Auch der zivilgesellschaftliche Beistand war groß und zahlreiche antirassistische Initiativen gründeten sich.
Auch heute stehen wir in vielerlei Hinsicht nicht mehr da, wo wir uns vor 30 Jahren befunden haben. Das Deutschland ein Einwanderungsland ist, wird nicht mehr ernsthaft bezweifelt. Und zu den politischen Ereignissen in diesem Jahr zählt auch der Gesetzentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, der endlich Mehrstaatigkeit für alle ermöglichen wird. Es ist völlig klar, dass die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft in Frieden leben will und gegen Rassismus ist. Das Zusammenleben in Vielfalt gelingt jeden Tag im ganzen Land, allerdings wird darüber kaum berichtet.
Ziehen wir also die Lehren aus der Geschichte und lassen wir die Stimmen lauter werden, die rechte Ideologien ablehnen. Lassen wir nicht länger zu, dass eine rechte Minderheit Hass und Zwietracht sät.
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Landesintegrationsrat hat es sich längst zur Aufgabe gemacht, an das schreckliche Ereignis von 1993 zu erinnern und Fragen nach der gesellschafts-politischen Einordnung zu stellen. Aus diesem Anlass haben wir das Projekt „30 Jahre Brandanschlag Solingen“ ins Leben gerufen, welches drei verschiedene Bausteine umfasst.
- „bunt statt braun“ : In zehn Städten NRW haben Integrationsratsmitglieder am 27.05.23 in den einheitlichen Trikots, Flyer und Luftballon auf den öffentlichen Plätzen verteilt und die Bevölkerung auf die Entwicklung des Rassismus aufmerksam gemacht.
- Die Radsternfahrt nach Solingen am 29.05.2023: mehrere Radfahrer/innen aus den unterschiedlichen Städten haben sich in den einheitlichen Trikots auf dem Rathausplatz Solingen getroffen und durch eine Stadtrundfahrt die Menschen auf den 30. Jahrestag des feigen Brandanschlages aufmerksam gemacht.
- Kommunale Veranstaltungen: Insgesamt haben 29 Integrationsräte bereits Veranstaltungen durchgeführt oder die Durchführung bis zum 21.12.23 angekündigt. Hier möchte ich einige von 19 Veranstaltungen kurz erwähnen, die bereits stattgefunden haben: Köln (31. Mai 2023): mit OB Frau Reker; Düsseldorf (10.8.2023) mit OB Dr Keller; Dormagen (28. 09 2023) mit 120 Schüler/innen; Bornheim (03.11.2023) mit Prof Dr. Uslucan; Essen (10. November 2023) mit OB Kufen; Monheim (20.11.23) mit Günther Wallraff. Es werden bis zum 21.12.23 9 weitere Veranstaltungen in den Kommunen stattfinden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie Sie wissen ist Mevlüde Genç im vergangenen Jahr leider verstorben. Sie hat damals trotz des unermesslichen Schmerzes über den Verlust ihrer Angehörigen zu Menschlichkeit und zum gleichberechtigten friedlichen Zusammenleben aufgerufen. Sie hat damit vielen Menschen Kraft und Mut gegeben. Ich rufe Sie, liebe Gäste und Mitwirkende auf, den Geist dieser bewundernswerten Frau weiter zu tragen und sich in ihrem Sinne gegen Rassismus und Menschfeindlichkeit einzusetzen. Möge unser Zusammensein heute nicht nur eine Erinnerung an das Vergangene sein, sondern auch eine Verpflichtung für die Zukunft, eine Zukunft, in der unsere internationalen Verbindungen uns zu einer Gesellschaft formen, die Vielfalt und Bikulturalität als Stärke betrachtet und jeder Mensch, unabhängig von seiner Herkunft, gleichermaßen respektiert wird.
Vielen Dank!
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