
Gedenkstätte „10+1 Bäume“ in Schwerte feierlich eingeweiht
9. September 2025Pressemitteilung des Landesintegrationsrates NRW vom 12. September 2025
Die Einsetzung der Zuwanderungskommission unter Leitung von Rita Süssmuth am 12. September 2000 markierte einen Wendepunkt in der langjährigen Debatte um Einwanderung und Zugehörigkeit. Erstmals herrschte ein weitgehender politischer Konsens darüber, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Bis zu diesem Zeitpunkt dominierte eine auf Restriktion und Begrenzung der Einwanderung bedachte Ausländerpolitik den Kurs der Bundesregierung. Im Hinblick auf die fehlenden staatlichen Integrationsangebote sagte der damalige Integrationsminister Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet, 2006: „Wir haben bei der Integration jahrzehntelang geschlafen“[1]. Trotz dieser widrigen Umstände war es bereits einem Großteil der Menschen mit internationaler Familiengeschichte gelungen, sich einen Platz in der deutschen Gesellschaft zu erarbeiten.
Mit der Einsetzung der Süssmuth-Kommission wurden erstmals Grundlinien einer Migrations- und Integrationspolitik entworfen. Das Zuwanderungsgesetz aus dem Jahr 2005 griff einen Teil dieser Vorschläge auf. Im selben Jahr stellte man fest, dass bereits 15,3 Millionen Menschen einen sogenannten „Migrationshintergrund“ hatten – etwa 19 Prozent der Bevölkerung. Damit wurde auch statistisch sichtbar und messbar, welche gesamtgesellschaftliche Bedeutung Menschen mit internationaler Familiengeschichte haben. „Es ging um einen Perspektivwechsel, eine neue Sicht der Zu- und Einwanderer: von den Defiziten zu den Potenzialen; von den Belastungen zu den Bereicherungen; von den Konflikten zu den Lösungen“, berichtete Prof. Dr. Süssmuth in einem Interview 15 Jahre später[2].
Konnte der von Prof. Dr. Süssmuth geforderte Perspektivwechsel auf Menschen mit internationaler Familiengeschichte erreicht werden? „Wir haben Frau Süssmuth viel zu verdanken“, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender des Landesintegrationsrates NRW. „Mit ihrem klaren, pragmatischen Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten und ihren progressiven Zukunftsvisionen hat sie die völlig überholte Ausländerpolitik in die Gegenwart geholt. Das hat uns hier in Nordrhein-Westfalen Rückenwind gegeben und uns bei unserem Einsatz für mehr politische Teilhabe für Menschen mit internationaler Familiengeschichte unterstützt“. In den vergangenen 25 Jahren haben wir uns dem von Prof. Dr. Süssmuth beschriebenen Perspektivwechsel angenähert. Ein Beleg dafür ist auch die Einrichtung der Integrationsräte in Nordrhein-Westfalen, die bereits 1994 als Ausländerbeiräte in der Gemeindeordnung gesetzlich verankert wurden und bis heute das einzige demokratisch legitimierte Vertretungsorgan von Menschen mit internationaler Familiengeschichte darstellen. Dennoch bleibt noch viel zu tun. Erneut kursieren populistische, polarisierende und spaltende Diskurse in der Öffentlichkeit. Rassistische Kräfte nehmen zunehmend Einfluss auf die Integrationspolitik von Bund und Ländern, sodass die Zeichen immer mehr auf Abwehr stehen. Voreilige Maßnahmen – etwa Budgetkürzungen bei Integrations- und Sozialangeboten oder ein verstärkter Fokus auf restriktive, sicherheitsorientierte Schritte – beherrschen die Debatte. Gleichzeitig finden pragmatische, innovative und langfristig angelegte Gestaltungsoptionen nur selten Gehör.
Tayfun Keltek beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge: „Ich sehe die Grundpfeiler unserer Demokratie und Gesellschaftsordnung in Gefahr. Wie kann es sein, dass Menschen mit internationaler Familiengeschichte immer noch nicht gleichwertig behandelt werden? Nach wie vor werden sie im Bildungsbereich, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, bei der medizinischen Versorgung und der politischen Teilhabe benachteiligt. Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus nehmen zu.“ Keltek fordert von demokratisch orientierten Parteien ein klares Bekenntnis zur vielfältigen Gesellschaft und eine entschiedene Verurteilung von Rassismus, Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. „Frau Süssmuth und die Kommission Zuwanderung waren vor 25 Jahren weiter als Teile der Politik heute. Wir sollten uns auf ihre Erkenntnisse besinnen und auf die Einwanderungsgesellschaft positiv in den Blick nehmen. Setzen wir auf die Vorteile bikultureller Identitäten, die wir erkennen, wertschätzen und strukturell fördern sollten. Wichtige Aspekte der Identitätskonstruktionen und kulturellen Bezüge von Menschen mit internationaler Familiengeschichte wie etwa ihre natürliche Mehrsprachigkeit, sollten als Bereicherung und Potenzial für die Entwicklung unserer Gesellschaft verstanden werden. Menschen mit internationaler Familiengeschichte brauchen zudem mehr Mitspracherechte – noch immer ist ein Teil von ihnen bei den kommenden Kommunalwahlen ausgeschlossen. Daher rufe ich alle Wahlberechtigten dazu auf, die Chancen politischer Mitbestimmung bei den anstehenden Kommunal- und Integrationsratswahlen am 14. September 2025 in Nordrhein-Westfalen zu nutzen. Nur gemeinsam können wir den antidemokratischen, rechtsextremen Kräften entgegentreten und ein friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben in unseren Kommunen in NRW gestalten!“, erklärt Keltek abschließend.
[1] Vgl. https://ga.de/die-schulen-werden-niemanden-mehr-zuruecklassen_aid-40159921 zuletzt abgerufen am 10.09.2025.
[2] Vgl. https://mediendienst-integration.de/artikel/15-jahre-zuwanderungskommission-rita-suessmuth-einwanderungsgesetz.html zuletzt abgerufen am 10.09.2025.