
Jetzt gilt’s – ZUKUNFT braucht HALTUNG
22. Oktober 2025Nordrhein-Westfalen zählt 2024 einen Anteil von 31,9 Prozent Menschen mit internationaler Familiengeschichte. Diese Bevölkerungsgruppe ist strukturell in Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur verankert. Der Landesintegrationsrat NRW ist das einzige landesweite Organ, das diese Interessen bündelt und auf die Ebene von Landtag und Landesregierung trägt. Er ist das einzige demokratisch legitimierte Vertretungsorgan von Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Nordrhein-Westfalen auf Landesebene. Seine Legitimation beruht nicht nur auf der Vertretung von derzeit 111 kommunalen Integrationsräten, sondern auch auf seiner ausdrücklichen Verankerung im Teilhabe- und Integrationsgesetz (§ 13 TIntG) und wird als solche institutionell vom Land gefördert. Die Integrationsräte sind Teil der demokratischen Infrastruktur in den Kommunen. Die Landesregierung ist verpflichtet, ihn bei allen Integrationsfragen anzuhören. Anders als viele andere Organisationen verfügt er weder über einen Dachverband, der finanzielle Engpässe abfangen könnte, noch über alternative Strukturen, die seine Rolle ersetzen. Finanzielle Engpässe entbinden das Land nicht von der Verantwortung, die politische Beteiligung von Menschen mit internationaler Familiengeschichte zu sichern.
Vor diesem Hintergrund erhält die Frage der finanziellen Ausstattung eine grundsätzliche Bedeutung. Der Haushaltsentwurf der Landesregierung für das Jahr 2026 sieht zum zweiten Mal in Folge vor, die Dynamisierung der Mittel auszusetzen. Damit wird die gesetzliche Regelung zur Finanzierung der integrationspolitischen Infrastruktur in unserem Land ausgehöhlt. In § 3 Abs. 2 des Teilhabe- und Integrationsgesetzes ist festgelegt, dass die institutionelle Förderung des Landesintegrationsrates seit 2023 unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kostenentwicklung mit einem gesetzlich definierten Dynamisierungsfaktor anzupassen ist. Diese Regelung ist kein politisches Ermessen, sondern eine gesetzliche Bindung. Ihre Missachtung durch das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration stellt einen Verstoß gegen das geltende Landesrecht dar.
Das wiederholte Aussetzen der Dynamisierung ist keine haushaltstechnische Maßnahme, sondern ein Eingriff in die gesetzlich garantierte Strukturförderung der integrationspolitischen Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung hatte im vergangenen Jahr erklärt, es handele sich bei der Aussetzung um eine Ausnahme. Mit der Wiederholung dieser Maßnahme gehen Planungssicherheit und Vertrauen verloren. Institutionen, die auf Dauer angelegt sind und deren gesetzlicher Auftrag verlässliche Strukturen voraussetzt, können unter diesen Bedingungen nicht zuverlässig arbeiten. Der Verzicht auf eine Dynamisierung führt zu realen Kürzungen, da Tarifsteigerungen, Inflation und steigende Sachkosten nicht kompensiert werden. Alle Ausgaben des Landesintegrationsrates sind zwingend notwendig; Einsparungen sind faktisch nicht möglich. Über achtzig Prozent der Fördermittel werden inzwischen für Personalkosten benötigt. Die verbleibenden Mittel decken lediglich die notwendigsten Sachausgaben wie Miete, Arbeitsmaterialien und Betriebskosten. Für unsere eigentliche inhaltliche Arbeit – politische Bildungsarbeit, Fachveranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit oder Kampagnen – stehen keine Ressourcen mehr zur Verfügung. Sogar für die ordnungsgemäße Durchführung der satzungsgemäßen Sitzungen fehlen ausreichende Mittel.
Gleichzeitig wächst das Arbeitsfeld kontinuierlich. Nach den Integrationsratswahlen im September 2025 müssen die neu gewählten Gremien intensiv begleitet und beraten werden. Zum 1. November 2025 tritt zudem eine rechtliche Veränderung in Kraft: Die Integrationsräte heißen künftig „Ausschüsse für Chancengerechtigkeit und Integration“. Mit dieser Anpassung von § 27 GO NRW wird das Schwerpunktthema Chancengerechtigkeit ausdrücklich in die Arbeit der kommunalen Gremien aufgenommen. Dieses neue Themenfeld erfordert unser aktives Mitwirken und eine kontinuierliche fachliche Begleitung, die nur mit ausreichender finanzieller Unterstützung möglich ist. Ohne zusätzliche Ressourcen bleibt dieser gesetzliche Auftrag leerlaufend.
Hinzu kommen Aufgaben in der Antidiskriminierungsarbeit, in der politischen Bildung sowie in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ohne eine dynamische Anpassung der Förderung ist dieser Aufgabenzuwachs nicht zu bewältigen.
Im Vergleich zu anderen Ressorts zeigt sich zudem eine Ungleichbehandlung. Während etwa im Wirtschaftsministerium alle institutionell geförderten Einrichtungen ihre dynamisierte Förderung erhalten, sind im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sämtliche geförderten Institutionen von der Aussetzung betroffen. Diese Praxis ist nicht sachlich begründbar. Sie schwächt gerade diejenigen Bereiche, die für demokratische Stabilität und gesellschaftlichen Zusammenhalt zentrale Bedeutung haben.
Auch jenseits des Landesintegrationsrates zeigen sich gravierende Folgen. Zahlreiche Einrichtungen und Programme im Bereich Migration, Flucht und Integration sind ebenfalls von der fehlenden Dynamisierung betroffen. Dazu zählen etwa die regionale Flüchtlingsberatung, Integrationsagenturen, Service- und Meldestellen gegen Diskriminierung, Sprachförderangebote zur Arbeitsmarktintegration, spezielle Kinderbetreuungsangebote, Rückkehrprojekte und begleitende Maßnahmen wie die Abschiebungsbeobachtung. Diese Stagnation führt zu realen Kürzungen: steigende Kosten verschärfen die Unterfinanzierung, Träger müssen Angebote reduzieren oder einstellen. In der Praxis bedeutet dies längere Wartezeiten, geringere Erreichbarkeit und weniger Unterstützung. Integrationsprozesse verlangsamen sich, Chancen auf Arbeitsmarktteilhabe sinken, Schutzstrukturen gegen Diskriminierung werden geschwächt. Das belastet nicht nur die Betroffenen, sondern auch die gesellschaftliche Stabilität vor Ort.
Hinzu kommt, dass in den Haushaltsplänen 2025 und 2026 insgesamt mehr als 25 Millionen Euro für die Einführung und den Betrieb einer Bezahlkarte für Asylsuchende veranschlagt wurden. Ein solches System ist integrationspolitisch kontraproduktiv, da es gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung einschränkt. Zudem haben mehr als 50 Kommunen im Land die Einführung der Bezahlkarte abgelehnt, was die Frage nach der Notwendigkeit und Wirksamkeit dieses Systems zusätzlich verdeutlicht. Die bereitgestellten Mittel stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen: Weder beschleunigt die Karte Integrationsprozesse noch verbessert sie Verwaltungsabläufe. Sie erzeugt zusätzlichen Aufwand und bindet erhebliche Ressourcen, die in die genannten funktionierenden Strukturen hätten investiert werden müssen. Während also zentrale Aufgabenfelder real gekürzt werden, werden Millionen für ein Instrument veranschlagt, dessen gesellschaftlicher Mehrwert nicht gegeben ist und das von vielen Fachleuten als integrationshemmend eingeschätzt wird. Diese Prioritätensetzung ist weder haushaltspolitisch noch demokratietheoretisch nachvollziehbar.
Die Schwächung des Landesintegrationsrates und die Unterfinanzierung des gesamten Förderbereichs Migration, Flucht und Integration erfolgen in einer Phase, in der rechtsextreme und rassistische Kräfte in Politik und Gesellschaft an Einfluss gewinnen. Institutionen, die demokratische Teilhabe sichern, Integration fördern und Minderheitenrechte verteidigen, dürfen in dieser Situation nicht finanziell ausgehöhlt werden.
Erforderlich ist deshalb eine dauerhafte und verlässliche Förderung, die mindestens eine dynamische Anpassung an Kostensteigerungen gewährleistet. Angemessen wäre zudem ein Aufwuchs der Mittel, der das gewachsene Aufgabenfeld berücksichtigt. Stagnation bedeutet eine faktische Kürzung und unterminiert die demokratische Infrastruktur.