Jahrestreffen der Geschäftsführer/innen der Integrationsräte in NRW: Sorge und Verunsicherung angesichts der Aussagen im Koalitionsvertrag zu den Integrationsräten
12. Oktober 2017Bericht zur Hauptausschusssitzung, Gelsenkirchen, 21. Oktober 2017
24. Oktober 2017Resolution vom 21.10.2017, Gelsenkirchen.
Die Integrationsräte stellen sich mit aller Deutlichkeit gegen das Vorhaben der schwarz-gelben Koalition, die Kommunen in NRW von der Pflicht zu entbinden, Integrationsräte einzurichten. Sie sehen darin einen massiven Angriff auf die Partizipationsmöglichkeiten der Migrantinnen und Migranten und die Rücknahme eines zentralen Elements erfolgreicher Integrationspolitik in NRW.
Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien heißt es, dass die Kommunen selbst entscheiden sollen, ob sie als Alternative zum Integrationsrat einen Integrationsausschuss einrichten wollen bzw. keines dieser beiden Gremien. Nur ein solches „Optionsmodel“ werde der individuellen Situation vor Ort gerecht.
Diese Annahme ist aus Sicht der Integrationsräte falsch. Integration gehört zu den wichtigsten Pflichtaufgaben in jeder nordrhein-westfälischen Stadt und ist keine „Option“. Als Fachgremien sind die Integrationsräte in einer Einwanderungsgesellschaft gute und notwendige Instrumente bei der Organisation eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammenlebens von Alteingesessenen und Neueingewanderten. Angesichts anhaltender Migrationsbewegungen sind sie wichtiger denn je.
Nicht nachvollziehbar ist auch, warum Mitspracherechte an vermeintliche „individuelle Situationen“ angepasst werden sollten. Die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund an kommunalpolitischen Entscheidungen kann nicht in einer Stadt richtig, in der Nachbarstadt aber überflüssig sein. Integrationsräte werden bislang demokratisch von der Bevölkerung mit Migrationshintergrund gewählt und sind somit auch Gremien zur politischen Willensartikulation. Nach den Aussagen des Koalitionsvertrages soll es in Zukunft keine Rolle spielen, ob Migrantinnen und Migranten ihre Interessen in einem Integrationsrat vertreten wollen. Die Entscheidung darüber, ob ein solcher eingerichtet wird, liegt allein beim Rat der Stadt. Diese Willkür hat mit verbindlicher Integrationspolitik, wie sie von der Landesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt wird, wenig zu tun.
Für viele Migrantinnen und Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die zum Teil seit Jahrzehnten in Deutschland leben, ist der Integrationsrat aber die einzige Möglichkeit zur politischen Teilhabe. Seit 1994 sind sie bzw. ihre Vorgängergremien in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens verankert. Es handelt sich um eine gewachsene Struktur, die aus der Initiative der Migrantinnen und Migranten und den Kommunen selbst hervorgegangen ist und jahrzehntelange ehrenamtliche Arbeit erforderte. Eine Umsetzung der Regierungspläne würde die positive Entwicklung dieser Gremien umkehren und sie um 20 Jahre zurückwerfen. Dabei ist unser Land bei Fragen zur politischen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten durch die Integrationsräte bundesweit Vorreiter. Für uns ist klar: Zurückzukehren zu weniger Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund ist unvereinbar mit einer fortschrittlichen Integrationspolitik, die vielmehr den Ausbau von Mitwirkung am politischen Geschehen im Blick haben sollte.
Die pauschale Kritik an den Integrationsräten, sie seien ineffektiv, weil nur beratend tätig, und müssten durch einen Integrationsausschuss ersetzt oder ganz abgeschafft werden, ist daher mehr als unverständlich. Ganz im Gegenteil: In etlichen Städten und Gemeinden ist „Integration“ erst durch die Integrationsräte überhaupt zum kommunalpolitischen Thema geworden. Nur durch ihre Initiativen wurde beispielsweise die Antidiskriminierungsarbeit vorangetrieben oder der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund in der Stadtverwaltung erhöht (weitere Themen: s. angefügte Liste).
Auch ein sogenannter Integrationsausschuss stellt keine sinnvolle Alternative dar, weil eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit den gewählten Migrantenvertretern in diesem Gremium nicht gewährleistet ist. Die Erfahrungen belegen das: Die Integrationsausschüsse, die in der Vergangenheit als Alternative zum Integrationsrat eingerichtet wurden, stießen auf Ablehnung. Daher ist die alternative Einrichtung eines Integrationsausschusses seit der Änderung des § 27 der Gemeindeordnung 2013 aus guten Gründen nicht mehr möglich. Ohnehin stand es den Stadt- und Gemeinderäten immer schon frei, jederzeit zu einem bestimmten kommunalen Aufgabenfeld einen regulären Ausschuss nach § 58 der Gemeindeordnung einzurichten. Gesetzliche Änderungen sind hierfür aber nicht notwendig.
Vielmehr sollte endlich auf die Forderung der Integrationsräte eingegangen werden, die schon seit Jahren auf mehr Kompetenzen und stärkere Unterstützung durch die städtische Verwaltung drängen. Eine vernünftige Weiterentwicklung der Gremien wäre, sie mit einem echten Beschlussrecht auszustatten und die ehrenamtliche Arbeit der Mitglieder – ähnlich wie bei Ratsmitgliedern – mit einer Aufwandsentschädigung aufzuwerten. So kann das Engagement der Integrationsratsmitglieder am effektivsten gestärkt und ein gutes Funktionieren gewährleistet werden.
Die Delegierten fordern alle Kommunen in Nordrhein-Westfalen mit Integrationsrat auf, dieses Gremium, das sich als politische Vertretung der Migrantinnen und Migranten mit Fachexpertise für das Thema Integration bewährt hat, fortzuführen, zu stärken und im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit mehr Kompetenzen auszustatten.
Anlage
Themen der Integrationsräte in Nordrhein-Westfalen
Die Integrationsräte gestalten das Zusammenleben in der Kommune aktiv mit. Sie setzen wichtige Impulse und bringen mit Anfragen und Anträgen folgende Themen auf die Tagesordnung des Rates:
Politische Partizipation
– kommunales Wahlrecht für Drittstaatsangehörige
– Kompetenzen der Integrationsräte
– Lokale Veranstaltungen vor der NRW-Landtagswahl 2017
Rassismusbekämpfung/Antidiskriminierung
– Lokale Veranstaltungen im Rahmen der Kampagne „Vielfalt schätzen – Rassismus ächten“
– Beitritt zur Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus
– Veranstaltungen zum Thema Diskriminierung
– Einrichtung von Antidiskriminierungsbüros
– Lokales Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus
– Erfassung von islamfeindlichen Straftaten und Verbot von religiös begründetem Rassismus
– Rechtsextremistische Straftaten
– Umbenennung von Straßen
– Beteiligung an Interkulturellen Wochen und Wochen gegen Rassismus
Interkulturelle Schule und Mehrsprachigkeit
– Einrichtung von bilingualen herkunftssprachlichen Gruppen an Kindertagestätten
– Umsetzung des § 13c ‚Sprachliche Bildung‘ des Kinderbildungsgesetzes des Landes NRW
– Herkunftssprachlicher Unterricht
– Interkulturelle Schule
Flüchtlinge
– Bleiberechtsperspektiven für langjährig geduldete Menschen
– Konzept zur Integration von Flüchtlingen
– Unterbringung
– Besichtigung von Unterkünften und Begegnungen mit Flüchtlingen
– Beschulung von Flüchtlingskindern
– Betreuung von Flüchtlingskindern
– Situation von Menschen ohne Papiere
– Einführung der elektronischen Gesundheitskarte
– KOMM-AN NRW
– Situation unbegleiteter Minderjähriger
– Pflegeeltern mit Migrationshintergrund
Änderung des WDR-Gesetzes
– Beteiligung an der Online-Konsultation 2015
Frauen mit Migrationshintergrund
– Politische Beteiligung von Migrantinnen
Integrationskonzepte der Kommunen
– Beteiligung und Mitgestaltung
Interkulturelle Elternarbeit zur Unterstützung der Kinder und Jugendlichen
– Aufklärungsarbeit bei den Eltern
– Schul- und Ausbildungssystem
Interkulturelle Öffnung der Verwaltung
– Erhöhung der Bewerbungs- und Einstellungszahlen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund
– Berücksichtigung der ethnischen Vielfalt bei der Bebilderung von städtischen Publikationen
– Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren in der Stadtverwaltung
– Interkulturelle Kompetenzen als Kriterium bei Einstellungen
Sport
– Veranstaltungen „Kurz und gut“
– Kooperationen vor Ort (KI, SSB/KSB, IR)
Senioren mit Migrationshintergrund
– Interkulturell geschultes Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
Interreligiöser Dialog
– Einrichtung von muslimischen Grabfeldern
– Gebetsräume in Krankenhäusern
– Gesprächsrunden vor Ort
Unterstützung der Migrantenorganisationen
– Vergabe von Mitteln an Migrantenorganisationen und für Interkulturelle Projekte