„Rhetorik für Integrationsräte – souverän politische Reden halten“
9. Januar 2019„Die Sprachenvielfalt unseres Landes gehört auch in die Schulen“
8. Februar 2019Antrag der Fraktion der Grünen im Landtag NRW
Der Landesintegrationsrat NRW bedankt sich herzlich für die Möglichkeit, zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stellung zu nehmen.
Vorbemerkung:
Der Landesintegrationsrat NRW erinnert daran, dass es mittlerweile eine geradezu triviale Erkenntnis ist, dass viele der Geflüchteten auf Dauer bleiben. Folglich müssen Flüchtlinge und Integration immer zusammen gedacht werden und die politischen Handlungsansätze diese Erkenntnis berücksichtigen. Mit dem Zusammenlegen der Ressorts im MKFFI nach der Landtagswahl 2017 hat die Landesregierung der Tatsache Rechnung getragen, dass Flüchtlingseinwanderung nicht nur ordnungs-, sondern auch integrationspolitische Fragen aufwirft. Bedauerlicherweise ist nun jedoch festzustellen, dass über die räumliche Ressortzusammenlegung hinaus kaum Anstrengungen unternommen wurden, Flüchtlings- und Integrationspolitik miteinander zu verbinden. Im Gegenteil: der Asylstufenplan sieht vor, dass die große Mehrheit der Flüchtlinge von Integrationsangeboten ausgeschlossen ist.
Bereits in der Anhörung am 31.10.2018 zum Gesetzentwurf der Landesregierung zum Ausführungsgesetz § 47 Abs. 1b AsylG (Drucksache 17/2993) wurde vom Landesintegrationsrat deutlich gemacht, dass durch die regelmäßigen Gesetzesverschärfungen signalisiert wird, dass Flüchtlinge lediglich eine Belastung seien. Diese Signale haben auch Auswirkungen auf die eingewanderten Menschen, die schon lange in Deutschland leben. Das Fokussieren auf Abschiebung und Fernhalten der Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe birgt die Gefahr, dass Rassismus und Vorurteile zunehmen. Es gilt aber, Migration als Chance wahrzunehmen und als solche der Öffentlichkeit zu vermitteln.
Zu den im Antrag formulierten Forderungen an die Landesregierung, die vom Landtag beschlossen werden sollen:
Zu 1.
Der Landesintegrationsrat hat in seiner Stellungnahme vom 24.10.2018 zum o.g. Gesetzentwurf auf die verheerenden Auswirkungen einer bis zu 24 Monate dauernden Unterbringung von Geflüchteten in Landesaufnahmeeinrichtungen sowohl für die Menschen in den Einrichtungen als auch für die Anwohnerinnen und Anwohner und die Kommunen hingewiesen. In der Anhörung des Integrationsausschusses am 31.10.2018 wurde von zahlreichen Sachverständigen hervorgehoben, dass eine verpflichtende Aufenthaltsdauer über einen derartig langen Zeitraum große rechtliche Fragen aufwirft und mit dem Grundrecht auf Asyl unvereinbar ist. Auch der Vertreter der AG der kommunalen Spitzenverbände räumte ein, dass die „schwierige Integration von Menschen, die erst nach 24 Monaten auf die Kommunen verteilt werden, […] sicherlich ein Thema“ sei.
In der Stellungnahme des Landesintegrationsrates heißt es:
„Eine Kurzstudie im Auftrag des Mediendienstes Integration zu Auswirkungen von Anker-Zentren von August 2018 lässt Schlüsse ziehen auch auf Landessammelunterkünfte, die durch ähnliche Merkmale gekennzeichnet sind. Auch das Leben in Landesunterkünften geht oftmals einher mit räumlicher Segregation und damit sozialer, politischer und kultureller Isolation. Die Folgen für die Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkünfte sind dramatisch, wenn dieser Zustand sich auf bis zu zwei Jahre ausdehnt. Geradezu triviale Aktivitäten der alltäglichen Lebensführung, wie Einkaufen, Arztbesuch, Vereinsmitarbeit, sportliche Betätigung oder nachbarschaftlicher Kontakt werden durch schlechte infrastrukturelle Anbindung massiv erschwert. Solange Flüchtlinge verpflichtet sind, in Landesaufnahmeeinrichtungen zu wohnen, erhalten sie keine Arbeitserlaubnis. Darüber hinaus gilt nach § 3 AsylbLG das Sachleistungsprinzip für elementare Bedarfe wie Ernährung, Kleidung und Verbrauchsgüter. Integrationsangebote gibt es für Flüchtlinge in Landeseinrichtungen kaum und eigenständiges Bemühen um Integration und Selbstständigkeit werden praktisch verunmöglicht.
Von einer bis zu zwei Jahre dauernden zwangsweisen Unterbringung in Landesaufnahmeeinrichtungen sind Flüchtlinge betroffen, deren Asylverfahren andauern oder deren Antrag bereits abgelehnt wurde, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. Sie sind also mit permanenter Unsicherheit hinsichtlich ihres Verbleibs in der Bundesrepublik konfrontiert. Bestenfalls befinden sie sich – hoffend auf Anerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft – in einer langen Warteposition, schlimmstenfalls sind sie der tagtäglichen Angst vor Abschiebung ausgesetzt. Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Unterkünfte wird ein Leben im Ausnahmezustand zugemutet.“
Über individuelle negative Folgen hinaus, die Flüchtlingen aufgebürdet werden, gilt es auch, die Augen nicht vor gesellschaftlichen Schäden zu verschließen. Zum Wohl der Gesamtgesellschaft ist es erforderlich, dass Menschen, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie auf Dauer in Deutschland leben, soziale, wirtschaftliche, kulturelle und politische Teilhabe ermöglicht wird. Sie dürfen nicht durch eine isolierende Unterbringung zu einer prekarisierten Gruppe gemacht werden, die Gefahr läuft, in erster Linie durch Resignation, psychische Belastungen und mangelnde Deutschkenntnisse gekennzeichnet zu sein. Es ist zu vermuten, dass derartige Personen nur schwerlich einen Beitrag zu einer positiven Entwicklung der Gesellschaft leisten können. Behelfsmäßiger und punktueller Zugang zu Integrationsangeboten kann keine strukturierte Integration und schon gar nicht die Eingliederung in ein „normales“ kommunales Lebensumfeld ersetzen. Die Bereitstellung von umfassenden Integrationsangeboten und von gesellschaftlicher Teilhabe muss immer auch als Investition in die Zukunft der Gesamtgesellschaft verstanden werden.
Ausgehend davon, dass es zahlreiche Flüchtlinge geben wird, die nach zwei Jahren Unterbringung in Landeseinrichtungen doch kommunal überwiesen werden, ist an dieser Stelle auf die Verantwortung der Landesregierung für das Wohlergehen dieser Menschen und die gesamtgesellschaftlichen Folgen hinzuweisen.
Aus den oben gemachten Ausführungen ergibt sich, dass Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen, die zuvor zwei Jahre in einer Landesunterkunft verbracht haben, damit befasst sein werden, nachholende Integration zu ermöglichen. Sowohl vom Landesintegrationsrat wie auch von anderen Sachverständigen wurde in der Anhörung vom 31.10.2018 zum Ausdruck gebracht, dass hierdurch sehr wahrscheinlich hohe Folgekosten entstehen. Eine kurzfristige finanzielle Entlastung der Kommunen kann demnach kein Grund sein, das Wohl der aufgenommenen Flüchtlinge zu gefährden, mit gezielter Desintegration eine Verschlechterung des Zusammenlebens zu riskieren und den Kommunen am Ende umso höhere Kosten aufzubürden. Der Landesintegrationsrat fordert daher eine maximale Aufenthaltsdauer von drei Monaten für Flüchtlinge in Landesaufnahmeeinrichtungen.
Die Unterbringung in Landesunterkünften hat großen Einfluss auch auf Familien mit minderjährigen Kindern. Grundsätzlich gilt: Kinder brauchen besonderen Schutz unabhängig von Herkunftsland, Aufenthaltsstatus und vermeintlicher Bleibeperspektive. Ihre Rechte dürfen nicht politischem Kalkül oder finanziellen Interessen zum Opfer fallen. Das Land NRW ist gemäß Art. 28 der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet, allen Kindern den Zugang zu verschiedenen Formen der weiterführenden Schulen allgemeinbildender und berufsbildender Art zu ermöglichen. Artikel 14 Abs. 2 der EU-Aufnahmerichtlinie konkretisiert dieses Recht weiter:
„Der Zugang zum Bildungssystem darf nicht um mehr als drei Monate, nachdem ein Antrag auf internationalen Schutz von einem Minderjährigen oder in seinem Namen gestellt wurde, verzögert werden.“
Das NRW-Schulgesetz garantiert weiterhin jedem jungen Menschen ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage, auf seine Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung (§ 1 Abs. 1). Allerdings wird dieses Recht im § 34 Abs. 1 insoweit eingeschränkt, als dass geflüchtete Kinder und Jugendliche erst mit Zuweisung in eine Kommune der Schulpflicht unterliegen und keine Regelschule besuchen können, solange sie in Landeseinrichtungen wohnen. Mit dem Ausführungsgesetz zu § 47 Abs. 1b Asylgesetz und dem Erlass zur Steuerung des Asylsystems vom 14.06.2018 legt die Landesregierung zudem fest, dass Familien oder allein sorgeberechtigte Elternteile mit minderjährigen Kindern erst nach vier bzw. sechs Monaten in die Kommunen überwiesen werden, sofern eine Entscheidung durch das BAMF nicht bereits eine frühere Zuweisung vorsieht. Bezogen auf den Besuch von Regelschulen wird also geltendes europäisches Recht in NRW derzeit nicht umgesetzt.
Im vergangenen Sommer 2018 bedeutete dies nach Angaben der Landesregierung (Antwort auf eine kleine Anfrage der Fraktion der Grünen im Landtag NRW, Drucksache 17/3383), dass 1.140 minderjährige Flüchtlinge länger als drei Monate in Landesunterkünften und damit über einen inakzeptablen Zeitraum vom regulären Schulunterricht ausgeschlossen waren, vorausgesetzt dass sie im schulpflichtigen Alter sind. Mit Stand vom 22.07.2018 betraf das knapp 36 % der minderjährigen Flüchtlinge, die zum Teil länger als 12 Monate in einer Landesunterkunft verbleiben mussten. Eine Verbesserung ist insofern in Sicht, als dass die neue Gesetzes- und Erlasslage wenigstens keine Aufenthaltsdauer für Flüchtlingskinder von mehr als sechs Monaten mehr zulässt.
Grundsätzlich schließt sich der Landesintegrationsrat den Forderungen der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft an, die in der Studie „Chancen und Hoffnung durch Bildung. Wie das deutsche Schulsystem Geflüchtete integriert“ von November 2017 formuliert sind. Dort heißt es: „Allen asylsuchenden Kindern und Jugendlichen muss – ungeachtet ihrer aufenthaltsrechtlichen Bleibeperspektive – ein gleichberechtigter Zugang zu Bildung ermöglicht und ein Platz an öffentlichen Schulen zugewiesen werden. Unterricht in Erstaufnahmezentren kann lediglich zur Überbrückung für eine eng begrenzte Zeit als Alternative dienen und muss auch dann in Umfang und Qualität an einen regulären Schulunterricht angeglichen werden.“ Der schriftliche Bericht des Ministers für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration vom 03.12.2018 (Vorlagen-Nr. 17/1479) lässt jedoch nicht erkennen, dass die durchgeführten Aktivitäten in den Landeseinrichtungen auch nur ansatzweise der Qualität eines regulären Schulbesuchs nahe kommen.
Reguläre schulische Angebote dürfen Flüchtlingen, deren Bildungsbiographie durch die Flucht ohnehin unterbrochen wurde, nicht vorenthalten werden. Der Besuch einer Schule schafft nach einer belastenden Flucht und in einem von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geprägten Leben in der Flüchtlingsunterkunft Verbindlichkeit und Struktur. In der Schule haben die geflüchteten Kinder und Jugendlichen Kontakt zu einheimischen Gleichaltrigen und damit die Chance auf soziale Teilhabe, einen normalen Alltag und das schnelle Erlernen der deutschen Sprache. Bildung stellt einen der wichtigsten Bausteine erfolgreicher Integration dar und muss von Anfang an und umfassend zugänglich sein, damit die Menschen später auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Folglich ist es im Interesse des Landes, Flüchtlingen einen guten Bildungsweg zu ermöglichen und damit eine Perspektive zu geben, denn auch hier muss die Annahme gelten, dass die Kinder auf Dauer bei uns bleiben. Der Landesintegrationsrat spricht sich für eine schulgesetzliche Änderung aus, die die Schulpflicht für Flüchtlingskinder und -jugendliche ab Aufnahme in der Landesaufnahmeeinrichtung einführt.
Jugendliche Flüchtlinge, die in der Landesunterkunft volljährig werden, stehen vor dem Dilemma, nicht mehr schulpflichtig zu sein, wenn sie in die Kommunen überwiesen werden. Eine Flucht und die Unterbringung in Landeseinrichtungen dürfen aber nicht bedeuten, dass nunmehr jungen Erwachsenen die Chance auf einen Schulabschluss genommen wird. Der Landesintegrationsrat begrüßt daher die Ankündigung im Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen, eine Schulpflicht für unter 25jährige Flüchtlinge einzuführen und drängt auf eine baldige Umsetzung.
Des Weiteren unterstützt der Landesintegrationsrat die Forderung nach kindgerechten Räumlichkeiten in den Landesunterkünften mit altersgerechten Spiel- und Lernangeboten auch für noch nicht schulpflichtige Kinder sowie nach einer Verpflichtung der Einrichtungen zur Einholung der Betriebserlaubnis entsprechend § 45 SGB VIII. Jedes Kind in Deutschland hat gemäß Art. 31 der UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Ruhe und Freizeit, Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. § 44 Abs. 3 AsylG regelt jedoch, dass § 45 SGB VIII nicht für Aufnahmeeinrichtungen des Landes gilt. Insofern sollte sich das Land NRW auf Bundesebene für eine entsprechende Änderung des Passus in § 44 Abs. AsylG einsetzen bzw. verbindliche Schutzkonzepte für Landesunterkünfte entwickeln, die den Vorgaben in § 45 SGB VIII entsprechen.
Sammelunterkünfte für Flüchtlinge bieten an und für sich kein kindgerechtes Lebensumfeld. Die Unterkünfte sind häufig geprägt durch Enge, mangelnde Privatsphäre, Angst und Perspektivlosigkeit und den Zwang zum Nichtstun. Daher sehen wir auch eine Sicherstellung der strukturellen Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendhilfe mit den Landeseinrichtungen als richtigen Schritt, um das Kindeswohl auch in Landeseinrichtungen so weit wie möglich sicherzustellen.
Zu 2.
Der Landesintegrationsrat lehnt die Einführung beschleunigter Asylverfahren gemäß § 30a AsylG und die Unterbringung betroffener Flüchtlinge in gesonderten Einrichtungen vollständig ab. Jeder Asylantrag sollte mit der gleichen Sorgfalt geprüft werden. Die Regelung erlaubt entsprechend des breiten Anwendungsbereiches, nahezu jeden Flüchtling dem beschleunigten Verfahren zuzuleiten und ihn im Falle einer Ablehnung zum unbegrenzten Aufenthalt in einer Landeseinrichtung zu verpflichten. Es kommt zu einer Erosion des Asylrechts als Individualrecht und damit einem Verstoß gegen das Grundgesetz. Das Grundprinzip des Rechts auf Asyl, Geflüchteten Schutz zu bieten, wird mit Füßen getreten.
Der Landesintegrationsrat spricht sich dafür aus, keine Menschen aus jedweden Herkunftsländern in das beschleunigte Verfahren aufzunehmen und die Anwendung des § 30a AsylG im Ganzen einzustellen.