Vielfalt als Stärke – „Mehr als Du siehst“ in Krefeld
20. Dezember 2024Zukunft der Integration in NRW – Finanzierung und politische Herausforderungen im Fokus
10. Januar 2025Mitteilung des Landesintegrationsrates am 7. Januar 2025
Im Februar 2024 nahm der Vorstand des Landesintegrationsrats NRW an einer Bildungsreise nach Berlin teil. Dabei hatten sie die Gelegenheit, eine Plenarsitzung im Deutschen Bundestag von der Besuchertribüne aus mitzuerleben. Besonders schockierend war die rassistische Wortwahl, der aggressive Ton und die unsinnige Argumentation eines AfD-Abgeordneten. Noch verstörender war jedoch die schwache und unaufmerksame Reaktion der Vertreterinnen der demokratischen Parteien. Die Enthüllung der sogenannten Deportationsgipfel rechter Kreise in Potsdam im Januar 2024 hat uns allen verdeutlicht, wie nah die rassistisch-antidemokratische Gedankenwelt an der Schwelle zur praktischen Umsetzung steht. Als Reaktion darauf fanden zahlreiche Demonstrationen in NRW statt. Der Landesintegrationsrat NRW hat mit mehreren Aktionen einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Demokratie und zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Diskriminierung geleistet. An dieser Stelle erwähnen wir beispielhaft die Veranstaltungen zum 75. Jubiläum des Grundgesetzes und die Radsternfahrt anlässlich des 31. Jahrestags des Brandanschlags in Solingen, die im Mai 2024 stattfanden. Hier wurden Gespräche mit Betroffenen des letzten Brandanschlages in Solingen (März 2024) und Landtagsabgeordneten geführt.
Ein weiteres zentrales Thema war, die Novellierung des § 27 der Gemeindeordnung NRW voranzutreiben, der die politische Teilhabe von Menschen mit internationaler Familiengeschichte auf kommunaler Ebene regelt. Diese Menschen gehören längst zur Mitte unserer Gesellschaft und bringen ihre Kompetenzen und Fähigkeiten täglich ein. Je mehr Anerkennung, Wertschätzung und politische Teilhabemöglichkeiten sie, desto eher wird sich der Allgemeinzustand unseres Landes verbessern.
Unter den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen haben wir mit einem Coaching-Projekt die Arbeit einzelner Integrationsräte vor Ort gestärkt. Zudem startete ein Arbeitskreis mit der Planung der kommenden Integrationsrats- und Kommunalwahlen, die am 14. September 2025 stattfinden. Die Ergebnisse der Europawahl im Juni 2024 sowie der Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Herbst 2024 machen deutlich, dass wir unsere Strategien und unser kollektives Handeln überdenken und gezielt anpassen müssen.
Ein besonderer Schwerpunkt unserer Arbeit war die Weiterführung der Kampagne „10+1 Bäume für die Opfer des NSU“ sowie das Projekt „Mehr als Du siehst!“. Mit rund 30 Veranstaltungen in den Kommunen konnten wir einen Paradigmenwechsel vorantreiben: von einer defizitorientierten zu einer potenzialorientierten Integrationspolitik. Es ist bedauerlich, dass Menschen mit internationaler Familiengeschichte oft nur unter dem Aspekt vermeintlicher Defizite betrachtet werden. Insbesondere diejenigen, die hier geboren und aufgewachsen sind und lange in Deutschland leben, bedürfen in der Regel keine Integrationsmaßnahmen. Mit dem Projekt haben wir die Stärken und Potenziale dieser Menschen hervorgehoben. Die Würdigung der einwanderungsbedingen Identitätskonstruktionen sowie die Sichtbarmachung und die Förderung der spezifischen Potentiale stehen ganz oben auf unserer Agenda.
Besonders die natürliche Mehrsprachigkeit ist eine wertvolle Ressource, die oft ungenutzt bleibt. Das Bildungssystem muss sich dieser Potenziale annehmen, wertschätzen und diese gezielt fördern. Nur so kann es seinem Auftrag gerecht werden, das Bildungsangebot in Schulen qualitativ hochwertig, zukunftsgerichtet und international konkurrenzfähig weiterzuentwickeln. Seit etwa fünf Jahren arbeitet der Landesintegrationsrat NRW an einer Bildungsoffensive, damit auch in diesem Bereich die defizitorientierte Perspektive überwunden werden kann. Dank einer koordinierten Aktion wurde der Antrag „Mehrsprachigkeit an Schulen neu denken – Bildung und mehr Chancengleichheit für Kinder mit internationaler Familiengeschichte!“ im Landtag NRW eingebracht. Wir betonen, dass der Unterricht die Bedürfnisse aller Kinder – unabhängig von ihrer Muttersprache – berücksichtigen muss. Nichtdeutsche Muttersprachen sollten durch bilinguale Programme aktiv gefördert werden. Lehrkonzepte, Didaktik und Pädagogik, die die Förderung der natürlichen Mehrsprachigkeit in Mittelpunkt stellen, müssen zum Alltag von schulischem Lernen und Regelunterricht gehören. Sie stärken nicht nur den Erwerb der deutschen Sprache, sondern auch die Identität der Schülerinnen und Schüler in NRW. Die Bildungsbiografien und -erfolge unserer Kinder sind entscheidend für die Zukunft unseres Landes!
Der Landesintegrationsrat NRW hat zudem zahlreiche Pressemeldungen und Stellungnahmen zu wichtigen Themen abgegeben, etwa zu den Landtagsanhörungen zum Förderprogramm Südosteuropa, zur Chancengleichheit in der beruflichen Bildung und zum Haushaltsentwurf NRW 2025. Leider zeigt die politische und finanzielle Lage in NRW wenig Spielraum für progressive Maßnahmen. Der tödliche Anschlag in Solingen im August 2024 wurde instrumentalisiert, um die Diskussionen rund um Migration und Integration einseitig auf Prävention und Sicherheit zu lenken. Besonders problematisch ist die Einführung der Bezahlkarte für Schutzsuchende, die wir entschieden ablehnen.
Mit zahlreichen Seminaren und Workshops hat der Landesintegrationsrat NRW die Arbeit der Mandatsträgerinnen und Mandatsträger vor Ort unterstützt. Zusätzlich wurden in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung weitere Fortbildungsangebote für Integrationsräte konzipiert und erfolgreich umgesetzt.
Wir benötigen dringend eine differenzierte Wahrnehmung der Menschen mit internationaler Familiengeschichte. Die vielfältige Komplexität des Migrationsphänomens und seiner positiven Folgen für die Entwicklung unserer Gesellschaft werden zu oft missachten. Um den künftigen Arbeitskräftebedarf zu decken, benötigt Deutschland bis 2040 jährlich rund 288.000 internationale Arbeitskräfte. Statt Sparmaßnahmen brauchen wir zusätzliche Ressourcen, um Chancengerechtigkeit für alle zu gewährleisten und neue Zugewanderte effektiv und zielorientiert in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es geht um die Zukunft, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes.