Qualifizierungsreihe für Integrationsräte
18. August 2021Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021
27. August 2021Offener Brief an Ministerpräsident Armin Laschet
Düsseldorf, 26.08.2021
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
entsetzliche Bilder erreichen uns diese Tage von der dramatischen Lage der Menschen in Afghanistan. Das ausgeblutete afghanische Volk muss abermals den Rückzug einer Großmacht und ihrer Verbündeten aus seinem Land erleben, während es mit leeren Händen zurückbleibt. Die westlichen Truppen hinterlassen in Afghanistan einen Trümmerhaufen und viele verzweifelte Menschen, die ihnen vertraut oder sogar für sie gearbeitet haben. Das Versprechen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschen-, Frauen- und Kinderrechten verkommt zu einer billigen Worthülse. Weit und breit fehlt den Menschen nun ein Orientierungspunkt, um eine Zukunft in Freiheit und Sicherheit aufbauen zu können. Zu befürchten ist, dass bald antidemokratische Kräfte und Extremisten das entstandene Vakuum füllen. Denn die Taliban übernehmen in rasender Geschwindigkeit die Macht im Land, bedrohen alle, die für ausländische Einrichtungen gearbeitet haben, sich in Organisationen für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt haben oder anderweitig nicht ins Weltbild der Taliban passen. Sie alle sind in akuter Lebensgefahr!
In unserem Bundesland und in den kommunalen Integrationsräten gibt es zahlreiche Menschen mit afghanischem Hintergrund, die in großer Sorge um Verwandte und Freunde sind. Insgesamt ist die Betroffenheit hierzulande groß angesichts der panischen Angst der Menschen in Afghanistan und der Berichte über Vergeltungsaktionen der Taliban. Der Landesintegrationsrat NRW setzt sich daher für ein umfassendes, unbürokratisches NRW-Aufnahmeprogramm ein. Die vom Land angekündigten Zahl von 1800 Afghaninnen und Afghanen kann nicht einmal als Tropfen auf den heißen Stein bezeichnet werden und ist eines wohlhabenden und in der Aufnahme von Geflüchteten erfahrenen Bundeslandes unwürdig. Ich bitte Sie daher, das Aufnahmeprogramm deutlich auszuweiten und auch denjenigen eine Chance zu geben, die von den Taliban bedroht werden, jedoch keine Ortskräfte sind oder direkt für ausländische Truppen gearbeitet haben. Auch Familienmitglieder, die Schutz brauchen, aber nicht zur sogenannten „Kernfamilie“ gehören, müssen gerettet werden. Darüber hinaus sollten alle Schutzberechtigten, die bereits in Nordrhein-Westfalen wohnen, ihre Familienmitglieder ohne weitere Verzögerungen nachholen können. Außer Frage steht, dass nach Afghanistan auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden darf. Alle Afghaninnen und Afghanen in NRW, deren Aufenthaltsrecht unsicher ist, müssen einen Schutzstatus erhalten.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
zweifellos ist nun humanitäres Handeln gefragt. Deutlich ist aber auch, dass es sich bei der Rettung der bedrohten Kinder, Frauen und Männern nicht um einen Akt der Großzügigkeit handelt, sondern um Verantwortungsübernahme und Schadensbegrenzung am desaströsen Ende eines Einsatzes der Bundeswehr. Insofern braucht es jetzt Vorbereitungen zur Aufnahme bedrohter Afghaninnen und Afghanen und positive Botschaften an unsere Gesellschaft. Mir ist die überwältigende Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in den Jahren 2015 und ’16 noch gut in Erinnerung, als uns eine große Zahl an Geflüchteten insbesondere aus Syrien erreichte – Menschen, von denen viele bei uns eine neue Heimat gefunden haben und heute fester Teil unserer bunten Einwanderungsgesellschaft sind. Die Haltung unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel zu der Herausforderung der Aufnahme und Integration der Geflüchteten brachte sie in ihrem berühmten Satz, „Wir schaffen das!“, zum Ausdruck. Das hat viele motiviert und galt den Menschen mit internationaler Familiengeschichte in unserem Land als Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft.
Wir müssen nun wieder auf die Willkommensbereitschaft der Gesellschaft setzten und so viele Menschen wie möglich vor der brutalen Gewalt der Taliban retten. Ich bin mir sicher, dass auch im Jahr 2021 Schutzsuchende vom Großteil der Bevölkerung mit offenen Armen empfangen werden. Auch haben bereits mehrere nordrhein-westfälische Städte ihre Bereitschaft bekundet, bedrohte Afghaninnen und Afghanen aufzunehmen. Die Kapazitäten und der Wille zu helfen in unserem Land sind da! Ich bitte Sie, dieses Engagement aufzugreifen und alles in Ihrer Macht Stehende zu tun – auch auf Bundesebene –, um Menschen aus Afghanistan Schutz zu bieten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Tayfun Keltek
Vorsitzender