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22. Dezember 2021In der Online-Zeitung Tichys Einblick ist am 13. November 2021 ein Artikel mit dem Titel „Leugner der Grauen Wölfe als ‚Experte‘ für Rechtsextremismus-Prävention eingesetzt“ erschienen, in dem Unwahrheiten über den Vorsitzenden des Landesintegrationsrates NRW, Tayfun Keltek, und die Integrationsräte in Nordrhein-Westfalen behauptet werden. Die Autorin des Artikels versucht zwar, ihre Behauptungen zu belegen, bei näherem Hinsehen fällt allerdings auf, dass ihre Behauptungen nichts mehr als Worthülsen bar jeglicher Substanz sind.
An mehreren Stellen des Artikels wird Tayfun Keltek unterstellt, er leugne die Existenz der rechtsextremen Organisation „Graue Wölfe“ in Deutschland. Deshalb sei er nicht kompetent, über Rechtsextremismus und Rassismus zu urteilen. Der Vorsitzende des Landesintegrationsrates NRW setzt sich stets entschieden gegen jeglichen Rassismus und Rechtsextremismus ein. Er ist ein gefragter Referent, wenn es um die Vermittlung der Perspektive der Menschen mit internationaler Familiengeschichte geht, die in erster Linie von rassistisch motivierten und rechtsextremistischen Terroranschlägen und Angriffen betroffen sind. In seiner Funktion als Vorsitzender der einzig urgewählten demokratisch legitimierten Landesorganisation der Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Nordrhein-Westfalen ist es seine Aufgabe, seine Expertise zur Rassismus- und Rechtsextremismus-Prävention auf Landesebene einzubringen. Mehr noch ist er als politischer Vertreter der von Rassismus betroffenen Bevölkerung verpflichtet, auf aktuelle Entwicklungen in diesem Themenfeld zu reagieren und, wenn möglich, zu intervenieren.
Ihm geht es bei der Behandlung der Problematik Rassismus und Rechtsextremismus um die richtige Gewichtung und Einordnung dieser Phänomene in unserer Gesellschaft, um adäquat mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit umgehen zu können. Denn die von den Sicherheitsbehörden jährlich veröffentlichten Berichte und Statistiken zu rechtsextremer Gewalt in Deutschland belegen eindeutig, dass der rechtsextreme Terror als größte Gefahr für unsere Demokratie auszumachen ist. Nach offiziellen Angaben der Bundesregierung sind seit 1990 106 Tötungsdelikte durch den rechten Terror zu verzeichnen. Diese Zahlen werden seitens der Amadeu Antonio Stiftung angezweifelt, denn sie geht von mindestens 213 Todesopfern und weiteren 15 Verdachtsfällen aus. Die jüngsten Terroranschläge in Halle an der Saale und Hanau, bei denen unschuldige Menschen mit internationaler Familiengeschichte ihr Leben verloren haben, belegen eindeutig, dass Rechtsextremismus in Deutschland zu lange unterschätzt worden ist. Im Vergleich hierzu ist das Gefährdungspotenzial anderer extremistischer Organisationen, wie z. B. Graue Wölfe, in Deutschland deutlich geringer. Es sollte gleichwohl weder überschätzt noch verharmlost werden. Selbst die Sicherheitsbehörden, die den Rechtsextremismus bekämpfen müssen, haben die Gefahr des deutschen Rechtsextremismus lange nicht erkannt. Einige Fachleute gehen sogar davon aus, dass der Verfassungsschutz bewusst der Entwicklung des Rechtsextremismus Vorschub geleistet habe und weisen auf die Ungereimtheiten bei der Verhinderung, Aufklärung und Aufarbeitung der NSU-Morde hin. Es entsteht der Eindruck, dass erst nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten, Walter Lübke, die Rechtsextremisten stärker ins Visier der Sicherheitsapparate gerückt sind. Unter dieser Faktenlage plädiert der Vorsitzende des Landesintegrationsrates stets dafür, sich intensiv mit Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft zu befassen statt auf Phänomene zu fokussieren, die vergleichsweise marginal sind und keine akute Gefahr für das Leben der Menschen darstellen. Genau aus diesem Grund sollte die Organisation Graue Wölfe in Deutschland nicht überschätzt werden. Zum einen ist von dieser Seite keine Gefahr für die Bevölkerung zu erwarten, zum anderen spielt sie in der Gestaltung unserer Gesellschaft keine wichtige Rolle, weder in den Integrationsräten noch in der türkischstämmigen Community.
Nachdem bei der Polizei in Essen Chatgruppen mit rechtsextremen und rassistischen Inhalten bekannt wurden, setzte das NRW-Innenministerium im Oktober 2020 die „Stabsstelle Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“ ein. Ihre Aufgabe war, Handlungsempfehlungen zur Früherkennung, Entgegnung und Vorbeugung rechtsextremistischer Tendenzen bei der Polizei zu erarbeiten. Der Vorsitzende des Landesintegrationsrates NRW hat in Gesprächen mit den verantwortlichen Mitgliedern der Stabsstelle Vorschläge zu Maßnahmen eingebracht, die effektiv sein können. Die Interkulturelle Öffnung der Polizei und die Einbeziehung der Mitglieder der Integrationsräte in die Arbeit der Polizeibeiräte gehörten zu den Vorschlägen, die er bei den konstruktiven Gesprächen einbrachte. Sein erklärtes Ziel war es, das Vertrauen der Menschen mit internationaler Familiengeschichte in die Polizei wieder zu erneuern.
Die Autorin nimmt eine Entscheidung des Integrationsrates Köln vom Jahr 2012 in den Blick, um Tayfun Keltek die Kompetenz in Fragen der Rechtsextremismus-Prävention abzusprechen. Sie versäumt allerdings, den Hintergründen des Integrationsratsbeschlusseses auf den Grund zu gehen und die Sachzusammenhänge zu erwähnen. Im Jahr 2012 beabsichtigte die Stadt Köln, die Universität Köln mit einer Folgeuntersuchung zu beauftragen, in der es um „allgemeine Rahmenbedingungen für die Entstehung rechtsnationaler Tendenzen und Vereinigungen mit Bezug zum Herkunftsland Türkei“ gehen sollte. Der Integrationsrat hat sich in seiner Februarsitzung im Jahr 2012 u.a. mit der Begründung, dass rechtsnationale Tendenzen nicht nur bei den Türkeistämmigen, sondern bei allen Bevölkerungsgruppen zu untersuchen sind, dagegen ausgesprochen. Hierbei ging es vorrangig darum der Stigmatisierung einer bestimmten Ethnie keinen Vorschub zu leisten. Folglich hat die Stadt die Auftragsvergabe zunächst auf Eis gelegt. Zu berücksichtigen ist, dass der Integrationsrat im Jahr 2008 einstimmig die vorhergehende Studie unterstützte, deren Ergebnisse im Jahr 2010 im Integrationsrat vorgelegt und diskutiert wurden.
In der Pressemitteilung der Stadt Köln vom 14.02.2012 ist zu lesen:
„Bei Beratungen im Integrationsrat hatte sich vorher abgezeichnet, dass eine solche Untersuchung aufgrund der Diskussion über die rechtsradikalen Anschläge in Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt als sehr kritisch angesehen wurde und diese Studie derzeit auch zu Missverständnissen führen könnte. Daneben wurde in dem Gremium die Mitfinanzierung aus städtischen Mitteln für Antirassismus-Trainings bemängelt. Aus diesen Gründen zog die Verwaltung die Vorlage zurück.“
Zum besseren Verständnis ist zu berücksichtigen, dass am 4. November 2011 die Existenz der rechtsextremistischen Terrororganisation NSU der Öffentlichkeit bekannt wurde, die für zehn Morde und mehrere terroristische Anschläge verantwortlich ist. Bis dahin wurden die NSU-Opfer in den Medien verhöhnt, indem die Morde als „Dönermorde“ tituliert wurden. Mit der Enttarnung des NSU kam endlich auch ans Tageslicht, wer für den Nagelbombenanschlag am 4. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße verantwortlich ist. Am 23. Februar 2012 fand in Berlin die zentrale Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt statt, zu der neben den Familien und Freunden der Opfer zahlreiche Mitglieder der Integrationsräte aus Nordrhein-Westfalen eingeladen wurden. Landauf landab befand sich die Community der Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Schockstarre ob des Versagens des Staates bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus. Dass der Kölner Integrationsrat in dieser Atmosphäre eine Studie ablehnt, die den Rechtsextremismus bei Menschen mit ausschließlich türkischem Hintergrund erforschen will, ist nicht sehr verwunderlich, sondern absolut folgerichtig. Denn es war zu befürchten, die Studie würde zur Stigmatisierung der türkischstämmigen Jugendlichen in der Stadtgesellschaft führen. Ein derartiger Auftrag seitens der Stadt Köln wäre schließlich ein fatales Signal und ein Schlag ins Gesicht der Menschen mit internationaler Familiengeschichte insgesamt gewesen. Offensichtlich fehlt der Autorin des Artikels die Fähigkeit, diese Zusammenhänge zu erkennen und ihre gegenseitige Wechselwirkung darzustellen oder sie will bewusst von der Gefahr von rechts für unsere Gesellschaft ablenken.
In der Positionierung des Integrationsrates spielte auch die Tatsache eine Rolle, wie in unserer Gesellschaft mit Jugendlichen aus den Familien mit internationaler Familiengeschichte umgegangen wird. Denn wenn türkischstämmige Jugendliche ihre Herkunft als Teil ihrer Identität betonen, werden daraus häufig voreilig falsche Schlüsse gezogen, nämlich dass sie Anhänger der rechtsextremen Organisation Graue Wölfe oder des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan seien. Diese pauschalen Brandmarkungen wirken negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung und das Zugehörigkeitsempfinden der Jugendlichen.
Eine weitere unwahre Behauptung in diesem oberflächlich recherchierten Artikel ist, dass Graue Wölfe bzw. DITIB-Vertreter die Integrationsräte unterwandert hätten und damit ihre Entscheidungen dominieren würden. Als Beleg für diese These werden einige Personen zitiert, die ihre schwammig formulierten Aussagen ebenfalls nicht belegen können. Diese Personen sind zudem dafür bekannt, sich ständig gegen türkischstämmige Einzelpersonen und Gruppen zu positionieren und ihnen nationalistische oder extremistische Haltungen zu unterstellen. Jedoch können sie ihre Vermutungen nicht durch fundierte Beweise für deren rechtsextreme oder illegale Aktivitäten belegen. Dem Landesintegrationsrat NRW ist bisher kein einziger Integrationsrat bekannt, in dem Sympathisanten der Grauen Wölfe die Themen und die Politik des Gremiums bestimmen. Aufgrund seiner Funktion als Dachverband der Integrationsräte steht der Landesintegrationsrat nicht nur mit den direkt gewählten Migrantenvertreter/innen im Austausch, sondern darüber hinaus auch mit der Stadtpolitik und der Verwaltung vor Ort.
Die Autorin des Artikels lässt außerdem Hintergrundkenntnisse über die Arbeit der Integrationsräte vor Ort vermissen. Im Zentrum der Arbeit der Integrationsräte steht die Gestaltung der kommunalen Integrationspolitik. Zu ihren Aufgaben gehören die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Gleichstellung und Teilhabe wie auch die Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus in der Kommune. Ergo gehören außenpolitische Themen – wie die Unterstützung der Politik in den Herkunftsländern der Gremienmitglieder – nicht in die Tagesordnung dieser kommunalen Gremien, die in aller Regel gute politische Arbeit leisten. Nicht von ungefähr sind sie in der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen verankert und durch Urwahlen legitimiert.
Es stellt sich die Frage, weshalb Tichys Einblick diesen mangelhaften Artikel veröffentlicht hat. Darüber kann man nur spekulieren. Tatsache ist jedenfalls, dass das Online-Magazin eine gewisse Nähe zum Rechtspopulismus und National-Konservatismus zeigt. Darüber hinaus ist die Zeitung, mit sexistischen Entgleisungen gegen die SPD-Politikerin Sawsan Chebli wie auch mit erfundenen Berichten auffällig geworden. In einem Gerichtsprozess gewann die prominente Grünen-Politikerin Claudia Roth gegen Tichys Einblick und darf die Zeitung weiterhin als „neurechte Plattform“ bezeichnen. Es ist vorstellbar, dass weitere Personen das Online-Magazin wegen seiner diffamierenden Methoden verklagt haben. Offensichtlich ist der Redaktion die politische Teilhabe der Menschen mit internationaler Familiengeschichte in den Integrationsräten und vor allem ihre entschlossene Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus ein Dorn im Auge. Die Integrationsräte bewirken Enormes in der Kommunalpolitik. Sie haben sich in den letzten Jahrzehnten als eine solide Säule der politischen Teilhabe in den NRW-Kommunen etabliert und sind wie kein anders Gremium vielfältig besetzt. Menschen verschiedener politischer Couleur aus 79 unterschiedlichen Herkunftsländern setzen sich in diesen Gremien für das friedliche und gleichberechtigte Zusammenleben ein und sind Teil unseres demokratischen, pluralistischen politischen Systems. Der 17köpfige Vorstand des Landesintegrationsrates NRW besteht aus neun Frauen und acht Männern, die 10 unterschiedliche Herkunftsländer präsentieren. Nur zu schade, dass der Artikel darauf nicht eingeht, die Online-Zeitung ist eher auf Skandalisierung und Polemik aus.
Unsere Fazit: Die Autorin von Tichys Einblick hat in ihrem Eifer, Tayfun Keltek und die Integrationsräte zu diffamieren, regelrecht den Durchblick verloren. Wenig verwunderlich ist, dass die AfD-Fraktion im Landtag NRW in ihrer jüngsten Anfrage vom 03.12.2021 ausgerechnet diesen Artikel für ihre diffamierenden Unterstellungen heranzieht.