„Türkisch statt Englisch an Grundschulen“
22. März 2019Rückblick: Veranstaltung „Rechter Terror…“
27. März 2019Stellungnahme des Landesintegrationsrates NRW zum Antrag der SPD-Landtagsfraktion (Drucksache 17/4455) im Rahmen der Anhörung des Integrationsausschusses am 22. März 2019
Seit 1955 ist die Bundesrepublik Deutschland faktisch durch die Arbeitsmigranten zu einem Einwanderungsland geworden! Migrantinnen und Migranten im Seniorenalter sind Teil unserer Gesellschaft.
Menschen, die durch die Anwerbung und durch den Familiennachzug in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, kehren zumeist nicht mehr in ihre Herkunftsländer zurück. Das trifft nicht nur auf die sogenannte zweite und dritte Generation zu, sondern verstärkt auch auf die sogenannte erste Generation der ehemaligen „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“. Für sie ist Deutschland längst zum Lebensmittelpunkt geworden, der auch noch nach der Beendigung der Erwerbstätigkeit erhalten bleibt.
Diese Menschen haben hier ihren Lebensmittelpunkt, ihre Kinder und Enkelkinder leben hier, emotionale Bindungen bestehen sowohl zur neuen wie zur alten Heimat. Sie können und wollen Deutschland nicht verlassen. Der demographische Wandel führt dazu, dass sich die Zahl der Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund in NRW erhöhen wird.[1]
Folglich ergeben sich immer mehr Fragen, die durch die Migration und durch die auftretende innere Zerrissenheit zwischen dem Herkunftsland und Deutschland verursacht werden. Deshalb begrüßt und der Landesintegrationsrat den vorliegenden Antrag.
Migranten der ersten Stunde haben in ganz erheblichem Umfang zum Aufstieg des Wirtschaftswunderlandes Deutschland beigetragen. Sie haben die schweren körperlichen Arbeiten verrichtet und für dieses Wunder oft mit ihrer Gesundheit bezahlt[2]. Gleichzeitig erhielten sie die niedrigsten Löhne und waren nach Ende des „Wunders“ als erste von Arbeitslosigkeit betroffen.
Ergebnis sind kürzere Beitragszeiten zur Rentenversicherung, die gemeinsam mit Schwierigkeiten bei der Beantragung der Renten aus den Herkunftsländern sowie hohen Ausfallzeiten, zu niedrigen Renten führen. Somit wird eine Verbesserung der Ressourcen der älteren Migrantinnen und Migranten verhindert. Die Armutsforschung belegt immer wieder, dass die Altersarmut unter den Migrantinnen und Migranten der ersten Generation dreimal so hoch ist wie bei ihren Altersgenossen ohne Migrationshintergrund. Besonders betroffen sind dabei Frauen mit Migrationshintergrund. Die geschlechtsspezifische Benachteiligung beim Einkommen schlägt sich im Rentenalter umso intensiver durch.[3]
Das von der traditionellen Gesellschaft geprägte Altersbild der Migrantinnen und Migranten spielt bei den Lebensbedingungen und der Bewältigung des Alltags eine Rolle. Besonders betroffen und verunsichert sind die älteren Migrantinnen und Migranten durch den Wandel der Strukturen innerhalb der Familie in der neuen Heimat. Während in einer traditionellen Gemeinschaft im Falle von Krankheit und Pflegebedürftigkeit Hilfe von den Familienangehörigen, Freunden und Bekannten zu erwarten ist, können solche Dienste nur noch unter erschwerten Bedingungen von Familienangehörigen oder Freunden erbracht werden. [4]
Die eingangs genannten Probleme werden durch diesen Wandel immer mehr verstärkt und können so im Alter mit Einsamkeit und Isolation – insbesondere für alleinstehende und alleinlebende Migrantinnen und Migranten – verbunden sein.
Migrantinnen und Migranten haben aufgrund von Sprach- und Informationsdefiziten einen erschwerten Zugang zu Pflegeleistungen. Auch innerhalb der Pflegeeinrichtungen gibt es aufgrund der kulturellen und sprachlichen Verschiedenheiten Missverständnisse, die die Teilnahmemöglichkeit innerhalb dieser Einrichtungen erschweren. Unter diesen Umständen gilt es, eine gleichberechtigte Teilhabe und Versorgung der älteren Migrantinnen und Migranten zu gewährleisten.
Da sich die Lebensbiographie und die damit verbundenen kulturellen und religiösen Hintergründe von denen der einheimischen deutschen Bevölkerung unterscheiden, müssen andere Angebote der Altenhilfe entwickelt werden. Dabei gilt es auch die Migrantencommunities mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen einzubeziehen, damit eine zielorientierte Handlungsweise auf den Weg gebracht werden kann. Zur Versorgung von älteren Migrantinnen und Migranten müssen neue Konzepte in der Altenpflege und -hilfe entwickelt werden. Eine wichtige Grundlage hat die Landesweite Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren (LaKI) mit der Broschüre „Migrationssensible Seniorenarbeit und Altenhilfe“ bereits 2016 erarbeitet. Jedoch steht die Umsetzung des Handlungskonzeptes in weiten Teilen aus. Die Demographie unserer Gesellschaft stellt die Kommunen vor neuen Herausforderungen. Die Vielfalt der Migrantinnen und Migranten erfordert eine angepasste Dienstleistung bei ihrer Versorgung. Vor allem der interkulturellen Orientierung der Regeldienste kommt eine große Bedeutung zu, um die Betroffenen sachgerecht und kompetent zu beraten. Aus diesem Grund müssen die Regeldienste neben der interkulturellen Schulung ihres Personalbestandes auch mehrsprachige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den für diese Personengruppe relevanten Bereichen einsetzen.
Um der Vielfalt der Seniorinnen und Senioren gerecht zu werden müssen Pflegeheime ihre bestehenden Angebote in der Form gestalten, dass auch Personen mit Migrationshintergrund erreicht werden können. Dies kann zum Beispiel anhand mehrsprachiger Einrichtungsflyer geschehen. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass das Personal eine kultursensible Pflegeausbildung hat bzw. nachträglich weitergebildet wird. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der kultursensiblen Pflege von Migrantinnen und Migranten in den Einrichtungen. Unabhängig davon sollten Pflegeeinrichtungen bei Neueinstellungen gezielt Bewerberinnen und Bewerber ansprechen und einstellen, die die Sprache(n) der Migrantinnen und Migranten beherrschen, um problemlos mit ihnen kommunizieren zu können. Idealerweise sollten Bewerber Vorrang erhalten, die aus demselben Kulturkreis wie die Bewohnerinnen und Bewohner stammen. Auch die interne Organisation und Gestaltung der Einrichtung muss an die Bedürfnisse der Mitbewohner mit Migrationshintergrund angepasst werden. Von besonderer Bedeutung sind die Ernährungsgewohnheiten und die religiösen Bedürfnisse von Migrantinnen und Migranten, die berücksichtigt werden müssen.
Um die Lebenssituation der Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund zu verbessern, ist es wichtig, dass Kommunen bei der Entwicklung ihres interkulturellen Konzeptes dem demographischen Wandel Rechnung tragen und ihre Angebote auf die Relevanz für die Migrantinnen und Migranten im Seniorenalter überprüfen und bei Bedarf erweitern.
Die prognostizierte Altersstruktur der Migrantinnen und
Migranten verweist auf die Dringlichkeit, dass wir uns verstärkt Gedanken darüber
machen müssen, was in der Altenhilfe notwendig sein wird, um Menschen aus ethnischen
Minderheiten, ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen berücksichtigen zu
können.
[1] Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration NRW, 6. Kommentierte Zuwanderungs- und Integrationsstatistik Nordrhein-Westfalken. S. 10 ff.
[2] Eine repräsentative Erhebung des Bundesgesundheitsministeriums vom Jahr 2011 belegt, dass die Migrantinnen und Migranten im Durschnitt zehn Jahre früher als die deutschen Seniorinnen und Senioren pflegebedürftig werden. Vgl. Abschlussbericht des Bundesgesundheitsministeriums zur Studie „Wirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes“, S. 60.
[3] Vgl. dazu die Studie der Armut im Alter – aktuelle Daten und Entwicklungen, in: WSI-Mitteilungen 5/2013.
[4] Vgl. Maßnahmenprogramm der Stadt Köln 2013, S. 87.