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19. Mai 202160 Jahre gemeinsam: Du schreibst unsere Geschichte! – Birlikte 60 yıl: Bizim Hikayemizi yaz!
2. Juni 2021Antrag der SPD-Fraktion im Landtag NRW: „Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts dringend erforderlich – Doppelte Staatsbürgerschaft ausnahmslos ermöglichen“; Anhörung des Integrationsausschusses am 12. Mai 2021
Deutschland, das Land, das sich als Vorbild für Demokratie und Menschenrechte darstellt, hat im Bereich der Regelung von Staatsangehörigkeit ein grundsätzliches Problem. Menschen werden vor den Gesetzen ungleich behandelt, wenn es um die Erlangung von doppelter Staatsangehörigkeit geht.
In Deutschland gilt grundsätzlich das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, ausgenommen davon sind insbesondere Staatsangehörige der anderen EU-Mitgliedstaaten sowie der Schweiz.
Des Weiteren wird bei Staatsangehörigen folgender Staaten unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert: Afghanistan, Algerien, Angola, Argentinien, Bolivien, Costa Rica, Brasilien, Dominikanische Republik, Ecuador, Eritrea, Guatemala, Honduras, Iran, Kuba, Libanon, Malediven, Marokko, Mexiko, Nicaragua, Nigeria, Panama, Syrien, Thailand, Tunesien, Uruguay.
Die bisherige Entwicklung des Staatsangehörigkeitswesens gestaltet sich wie folgt:
Bis 2000 war es entgegen des Prinzips der Einstaatigkeit für in Deutschland Lebende möglich, eine weitere Staatsbürgerschaft neben der deutschen anzunehmen. Zudem gelang es dem damaligen Bundesinnenminister Schäuble 1990, ein neues Ausländergesetz mit der sog. erleichterten Einbürgerung auf den Weg zu bringen. Das Gesetz trat am 1. Januar 1991 in Kraft. Von da an war es mit Hilfe der Bestimmungen des Ausländerrechts möglich, die erleichterte Einbürgerung für in Deutschland aufgewachsene Jugendliche und bereits lange in Deutschland lebende Menschen mit internationaler Familiengeschichte vorzunehmen. Die damalige Arbeitsgemeinschaft Ausländerbeiräte NRW (Vorgängerorganisation des Landesintegrationsrat NRW) unterstützte die Anstrengungen der Bundesregierung und führte bereits in den 1990er Jahren in NRW mehrere Einbürgerungskampagnen durch. Damals haben sich Viele einbürgern lassen.
Ende der 1990er Jahre strebte die rot-grüne Bundesregierung eine Gesetzesänderung an, die Mehrstaatigkeit grundsätzlich ermöglichen sollte. Im Bundesrat konnte hierfür jedoch keine Mehrheit gefunden werden, nachdem die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Roland Koch die Landtagswahl in Hessen mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewonnen hatte. So waren die SPD und Bündnis 90/Die Grünen gezwungen, von ihrer ursprünglichen Position einer generellen Hinnahme von Mehrstaatigkeit Abstand zu nehmen. Sie orientierten sich in Richtung des sog. Optionsmodells. Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sagte im Bundestag zum Vorhaben: „Die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Optionspflicht entspricht der Beibehaltung des Grundsatzes, dass Mehrstaatigkeit nach Möglichkeit vermieden werden soll.“
Am 1. Januar 2000 wurde neben dem bisher allein geltenden Abstammungsprinzip (ius sanguinis) das Geburtsortprinzip (ius soli) eingeführt. Hiernach können unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern neben der Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes auch die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Damit war zunächst die Verpflichtung verbunden, sich mit Vollendung des 18. Lebensjahres zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit der Eltern zu entscheiden, die sog. Optionspflicht. Es gab auch eine wesentliche Änderung der erforderlichen Aufenthaltsdauer für einen Einbürgerungsanspruch. Sie wurde von 15 auf acht Jahre verkürzt.
Trotzdem gingen nach der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes die Einbürgerungszahlen massiv zurück. Seitens der Menschen mit internationaler Familiengeschichte schwand auf Grund der Ungleichbehandlung von bestimmten Bevölkerungsgruppen der Wille zur Einbürgerung und das Vertrauen in die Politik.
Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes 2005 wurden umfangreiche rechtliche Änderungen in den Bereichen Migration und Integration vorgenommen. Unter anderem fanden die wichtigsten Einbürgerungsvorschriften, die zuvor auch im Ausländergesetz normiert waren, nun im Staatsangehörigkeitsgesetz ihren Platz. Für Einbürgerungswillige änderte sich jedoch nichts und die Einbürgerungszahlen waren nach einem kurzzeitigen Anstieg weiter rückläufig. Die Einführung des sog. Einbürgerungstestes schaffte 2008 eine neue Hürde für die Einbürgerung. Erst die Abschaffung der Optionspflicht für in Deutschland aufgewachsene Kinder Ende 2014 stellt einen kleinen Fortschritt dar und setzte ein positives Signal.
Obwohl die Vermeidung von Mehrstaatigkeit das Grundprinzip in Deutschland ist, sieht die Realität anders aus. Seit Jahren ist die Einbürgerungspraxis das genaue Gegenteil. Mehr als die Hälfte der Einbürgerungen werden unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit praktiziert; im Übrigen nicht nur bei den Angehörigen der EU-Staaten.
Also gibt es in dieser Frage ein Problem der rechtlichen Gleichstellung aller Menschen in Deutschland.
Viele in Deutschland lebende Menschen mit internationaler Familiengeschichte haben die Möglichkeit, sich nach gültigem Recht einbürgern zu lassen. Diese Menschen, die bereits Jahrzehnte in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, verfügen jedoch neben ihrer deutschen über eine weitere Identität, nämlich die des Herkunftslandes. Diese Identität wird in der Regel an der Staatsbürgerschaft festgemacht. Betroffene wollen und können sie jedoch nicht aufgeben, was aber bei der Einbürgerung von ihnen verlangt wird.
Diese Personengruppe kann und möchte ihre Herkunftsidentität nicht ablegen. Ihnen wird signalisiert, dass diese „zweitklassig“ sei. Diese politische Doppelmoral der Ungleichbehandlung von Herkünften ist ein falsches Signal an die Menschen mit internationaler Familiengeschichte. Denn die Herkunft ist ein untrennbarer Teil ihrer Persönlichkeit und Identität. Die Aufgabe der Herkunft würde einer Leugnung des Selbst gleichkommen. Es besteht das Bedürfnis der Beibehaltung der Herkunftsidentität, die gekoppelt ist mit der Staatsbürgerschaft. Der rechtliche Zwang zur Aufgabe der Herkunftsstaatsangehörigkeit bei bestimmten Bevölkerungsgruppen und der Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von der doppelten Staatsbürgerschaft steht im Widerspruch zum Grundgesetz. Das Zugehörigkeitsgefühl zu unserer Gesellschaft wird torpediert.
Die Ablehnung doppelter Staatsbürgerschaft beinhaltet die Verleugnung bikultureller Identitäten. Das schafft Misstrauen und Enttäuschung bei den Betroffenen.
Doppelte Staatsangehörigkeit beinhaltet nicht die Verdopplung von Privilegien, sondern vor allem die Anerkennung der Herkunftsidentität der Menschen mit internationaler Familiengeschichte. Das ist von besonderer Bedeutung für die Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls zu beiden Ländern. Denn sie identifizieren sich mit Deutschland wie jüngste Studien belegen. Sie sind Vermittler und Botschafter zwischen Deutschland und ihrem Herkunftsland.