Viele gute Ansätze, aber wenig Konkretes
29. Juni 2022Seminar „Mein Engagement im Integrationsrat – Strategie & Netzwerken vor Ort“
23. September 2022Stellungnahme des Landesintegrationsrates NRW zum Bericht des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes NRW
Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW hat am 10.11.2021 – gut ein Jahr nach der Integrationsrat- bzw. Integrationsausschusswahl – die sieben Kommunen, die auf Basis des neuen Abs. 12 in § 27 Gemeindeordnung NRW entschieden hatten, anstelle eines Integrationsrates einen Integrationsausschuss einzurichten, nach ihren Erfahrungen mit den Gremien gefragt. Es sollte ermittelt werden, ob sich die Erwartungen an die Integrationsausschüsse erfüllt haben, ob sie sich also „bewährt“ haben.
Der Landesintegrationsrat NRW hatte sich im Zuge der Diskussionen um eine Änderung von § 27 GO NRW für eine Weiterentwicklung der Integrationsräte ausgesprochen und dafür plädiert, die Einheitlichkeit der Gremien nicht aufzugeben. Wir haben uns darüber hinaus gegen die alternative Einrichtung eines Integrationsausschusses positioniert, weil dieser als beratender Ausschuss gegenüber dem Integrationsrat in seinen Kompetenzen von vornherein eingeschränkt ist und weil durch die mögliche Bestellung von sachkundigen Bürger/innen anstelle von Ratsmitgliedern die bewährte Anbindung an den Stadtrat gefährdet wird.
Vor diesem Hintergrund verwundert es uns nicht, dass sich 2020 nur sieben von 108 Kommunen entschlossen haben, einen Integrationsausschuss einzurichten. Offenbar wurde ganz überwiegend das Model des Integrationsrates als gut empfunden bzw. die alternative Einrichtung eines Integrationsausschusses nicht als vorteilhaft wahrgenommen. Auch die nach der Integrationsrats- und Kommunalwahl gebildeten Gremien in Bergheim, Eitorf und Wetter sind Integrationsräte.
Die Erfahrungsberichte der sieben Kommunen mit Integrationsausschuss lassen nun erwartungsgemäß auch keine besonderen Vorteile gegenüber dem Integrationsrat erkennen. Grundsätzlich ist die Einseitigkeit der Antworten zu kritisieren. Es wird nicht ersichtlich, dass Mitglieder der Integrationsausschüsse – Ratsmitglieder und direkt gewählte Mitglieder – ihre Erfahrungen und Meinungen in die Berichte einfließen lassen konnten. Ohne die Einschätzungen der Mitglieder selbst haben die Erfahrungsberichte der Kommunen jedoch nur eingeschränkt Aussagekraft. Darüber hinaus sind die Berichte wenig umfangreich und informieren nur sehr oberflächlich über die gemachten Erfahrungen. Vier von sieben Städten geben sogar an, kaum Erfahrungen mitteilen bzw. keine Veränderungen gegenüber dem bis 2020 vorhandenen Integrationsrat feststellen zu können. (Bornheim, Kerpen, Neuss, Wuppertal). Die wenigen positiven Rückmeldungen zu den Integrationsausschüssen beziehen sich im Wesentlichen auf die verpflichtende Berücksichtigung in der Beratungsfolge und die Möglichkeit der Einbindung sachkundiger Bürger/innen. Insgesamt hätten die Gremien eine Aufwertung erfahren, würden als „echter“ Ratsausschuss wahrgenommen.
Die Berücksichtigung des Integrationsausschusses in der Beratungsfolge wird von mehreren Kommunen als Grund für eine bessere Einbindung in die Ratsarbeit und eine höhere Akzeptanz des Gremiums herangeführt. Bochum bedauert in diesem Zusammenhang, dass der vorherige Integrationsrat nicht in zufriedenstellenderweise eingebunden war. Und Bottrop teilt laut Bericht des MHKBG gar mit, dass „Integration als gleichrangiges kommunalpolitisches Handlungsfeld mit eigenem Fachausschuss“ verankert werden konnte. Krefeld gibt an, dass der Fachausschuss die Betreuung des Fachbereichs Integration übernommen habe. Dazu muss angemerkt werden, dass durch die Bestimmungen in § 27 Abs. 8, S. 1 („Rat und Integrationsrat sollen sich über die Themen und Aufgaben der Integration in der Gemeinde abstimmen“) die Stadträte ohnehin aufgefordert sind, die Zuständigkeiten der Integrationsräte festzulegen. Die oben von verschiedenen Städten dargestellten Vorzüge des Integrationsausschusses hinsichtlich der thematischen Zuständigkeit ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern ohnehin für alle Gremien vorgeschrieben. Zudem steht es den Stadträten frei – und im Sinne eines gut arbeitenden Gremiums, das hohe Akzeptanz genießt, wäre es geboten –, auch Integrationsräte in die Beratungsfolge einzubinden. Wenn nun bedauert wird, dass Integrationsräte nicht eingebunden waren, dann ist das also auf das Versäumnis der Stadträte zurückzuführen.
Auch in einigen Städten, die zur Zeit einen Integrationsrat haben, sind Zuständigkeiten nicht klar geregelt. Daher bieten sich die Rückmeldungen aus den Kommunen als wichtige Hinweise an, dass es auch für Integrationsräte noch eindeutigere Vorgaben braucht. Ziel sollte sein, dass alle Gremien einen abgesteckten Aufgabenbereich haben und sinnvoll in die Ratsarbeit eingebunden sind.
Klare Zuständigkeiten und Zusammenarbeit mit Rat und Fraktionen gewährleisten eine effektive Arbeit der Gremien. Die darüber hinaus häufig in Zusammenhang mit der Einbindung in die Beratungsfolge genannte Aufwertung des Integrationsausschusses lässt aber Fragen offen. Es sei zu einer stärkeren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit (z.B. Bottrop) bzw. zu einer größeren Wertschätzung (Krefeld) des Gremiums durch die Einrichtung eines Integrationsausschusses gekommen. Das wäre zu begrüßen, jedoch bleibt völlig unklar, woran diese Beobachtungen festgemacht werden. Anhand welcher Parameter ist man zu der Einschätzung gekommen? Ist es möglich, dass die Gremien weniger in der Öffentlichkeit als vielmehr innerhalb von Verwaltung und Politik mehr Aufmerksamkeit erfahren haben bzw. mussten? Und wenn es denn tatsächlich zu einer Aufwertung aufgrund der besseren Anbindung an den Rat gekommen ist, warum hat man nicht schon den Integrationsrat stärker in die Ratsarbeit einbezogen?
Als weiterer positiv bewerteter Unterschied zum Integrationsrat wird die Möglichkeit zur Bestellung von sachkundigen Bürger/innen genannt. Auffällig ist jedoch, dass keine Kommune detailliertere Angaben dazu macht, inwiefern sich die Einbindung von sachkundigen Bürger/innen positiv auf die Arbeit des Gremiums auswirkt. Fallen sie durch ihre große Sachkenntnis auf oder führen sie ihre Mitgliedschaft im Integrationsausschuss motivierter und engagierter aus als Ratsmitglieder? Auch ist nicht ersichtlich, in welcher Stadt in welchem Umfang von der Möglichkeit zur Bestellung sachkundiger Bürger/innen Gebrauch gemacht wurde. Sind sachkundige Bürger/innen nur vereinzelt ins Gremium bestellt worden? Oder ersetzen sie ganze Fraktionen im Integrationsausschuss? Der Landesintegrationsrat spricht sich nach wie vor gegen die Möglichkeit aus, Ratsmitglieder durch sachkundige Bürger/innen zu ersetzten, da die Befürchtung der fehlenden Anbindung an die Ratsarbeit nicht entkräftet werden konnte. Fraktionen, die wenig Interesse für die Integrationsratsarbeit mitbringen, wird es durch die Regelung leicht gemacht, das Thema zu vernachlässigen oder sich ihm ganz zu entziehen. So leidet die fachliche Arbeit des Gremiums, aber auch seine demokratische Legitimation.
Uns ist bekannt, dass es diese Befürchtungen auch in Kerpen gab, so dass vor der Wahl des Integrationsausschusses per Ratsbeschluss festgelegt wurde, dass dem Gremium keine sachkundigen Bürger/innen angehören sollen. Tatsächlich haben dennoch verschiedene Fraktionen von der Möglichkeit, sachkundige Bürger/innen zu bestellen, Gebrauch gemacht, sodass anstelle von sieben nun lediglich vier Mitglieder vom Rat entsandt werden. Da nach § 58 Abs. 3 GO NRW die Zahl der bestellten sachkundigen Bürger/innen die Zahl der Ratsmitglieder nicht erreichen darf, wurde in Kerpen der Rahmen des rechtlich Möglichen voll ausgeschöpft.
Seit der gesetzlichen Verankerung von Ausländerbeiräten stellt eine gute Zusammenarbeit mit Rat und Fraktionen eine der hauptsächlichen Ziele des Landesintegrationsrates in Bezug auf die kommunalen Gremien dar. Schon früh hat sich abgezeichnet, dass ihre Arbeit wenig Wirkung entfaltet, wenn sie außerhalb des kommunalpolitischen Systems agieren. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich die von uns empfohlene Besetzung der Gremien mit einem Drittel Ratsmitglieder und zwei Dritteln direkt gewählten Mitgliedern bewährt hat. Dadurch wird gewährleistet, dass in den Gremien, die nach wie vor wichtige Funktion der Interessenvertretung erfüllen, die Meinungen und Einschätzungen der direkt Gewählten ausreichend Gewicht haben – zumal es sich im Vergleich zu den Ratsmitgliedern häufig um politisch weniger erfahrene und weniger gut vernetzte Akteur/innen handelt. Dem in der historischen Entwicklung der Ausländerbeiräte und Migrantenvertretungen häufig vorherrschenden Paternalismus mit der Vorstellung, Vertreter/innen der Mehrheitsgesellschaft müssten für die „armen Migranten“ Politik machen, kann so entgegengewirkt werden. Die Ratsmitglieder werden in ihrer starken Position nicht gefährdet, da sie in den Stadträten nach wie vor jede Entscheidung der Integrationsräte/-ausschüsse kippen können.
Mit einer 2/3-zu-1/3-Verteilung der Mandate in den Gremien ist auch die Erwartung verknüpft, dass von den Integrationsräten und -ausschüssen ein breites Themenspektrum abgedeckt wird. Nur ein kleiner Teil der Menschen mit internationaler Familiengeschichte, die in NRW leben, ist kürzlich eingewandert. Auch die überwiegende Mehrheit der direkt gewählten „Migrantenvertreter/innen“ lebt seit Langem in Deutschland und ist nicht (mehr) auf Integrationsangebote angewiesen. Sie stellen sicher, dass sich die Gremien nicht ausschließlich mit den Erfordernissen der Erstintegration befassen, sondern auch Themen wie Antidiskriminierung, Potenzialentfaltung und gleichberechtigte Teilhabe in den Mittelpunkt der politischen Arbeit gerückt werden.
Abschließend kann festgestellt werden, dass aus den Berichten über die Erfahrungen der Kommunen mit Integrationsausschüssen keine Empfehlung zur flächendeckenden Einrichtung von Integrationsausschüssen abgeleitet werden kann. Die Landesregierung und die regierungstragenden Fraktionen im Landtag NRW hatten 2017 eine Initiative zur Änderung von § 27 GO NRW gestartet, um mit der Rückkehr zum Optionsmodell mehr Flexibilität und mit dem Integrationsausschuss ein attraktiveres Gremium anbieten zu können. Im Entschließungsantrag von CDU und FDP vom 29.11.2017 heißt es: „Nur ein solches Optionsmodell wird der konkreten individuellen Situation vor Ort gerecht. So geben wir den Kommunen den notwendigen Gestaltungsspielraum, um Anpassungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Gremien zur Beteiligung von Migrantenvertretern vorzunehmen.“
Der Landesintegrationsrat NRW vertritt die Ansicht, dass es keine unterschiedlichen Gremien braucht, sondern dass gute gesetzliche Rahmenbedingungen für alle gegeben sein müssen. Unabhängig von der „individuellen Situation vor Ort“ sind die Themen Integration, Chancengerechtigkeit und Teilhabe überall gleichermaßen von Bedeutung und ein gut funktionierendes Gremium, dass sich den Herausforderungen annimmt, wichtig. Die Integrationsräte bzw. -ausschüsse stellen nicht ohne Grund verpflichtend einzurichtende Gremien dar, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Es wäre also an der Zeit, ihnen mit ihrer herausragenden gesellschaftlichen Bedeutung als Garanten für politische Partizipation und als Fachgremien gerecht zu werden und sie mit Entscheidungskompetenzen auszustatten. Bislang haben Integrationsausschüsse ausdrücklich nur Beratungsfunktion, während es für Integrationsräte keine eindeutigen Bestimmungen gibt. Bei der nächsten Reform von § 27 GO sollten die Gremien ihre Einheitlichkeit zurückgewinnen – dabei ist der Name des Gremiums zweitranging – und sie müssen mit der Ausstattung von Entscheidungsbefugnissen tatsächlich aufgewertet werden.
September 2022