Selbstverständlichkeiten als Grundsatzprogrammentwurf formuliert – keine Hilfe gegen den steigenden Rassismus und Spaltung der Gesellschaft
16. Januar 2024Keinen Platz für Rassismus. Ja zur Anerkennung, Wertschätzung und Förderung von Menschen mit internationaler Familiengeschichte
16. Februar 2024Positionspapier des Landesintegrationsrates NRW vom 17. Januar 2024 zum Geheimtreffen rechtsextremer Gruppierungen und Einzelpersonen in Potsdam
Das Entsetzen der Menschen mit internationaler Familiengeschichte ist angesichts der neuesten Enthüllungen zum konspirativen Zusammenkommen rassistischer und rechtsextremer Kräfte in einem Hotel bei Potsdam groß. Angst vor rassistischen Übergriffen und Machtzuwächsen für Rechtsextremist/innen machen sich breit. Hintergrund ist der bei dem Treffen vorgestellte „Masterplan“ zur Ausbürgerung und „Remigration“ von Menschen, die nach rechter Ideologie nicht ausreichend assimiliert sind. Mithilfe von Influencern, Projekten an Universitäten und anderen Instrumenten soll eine Propagandamaschine anlaufen, wodurch die Öffentlichkeit für die rassistischen Ideen gewonnen werden soll. Teilgenommen haben sollen unter anderem AfD-Mitglieder, Mitglieder der CDU und weitere rechtsextremistische Einzelpersonen.
In Reaktion auf die Enthüllung ist eine breite Empörungswelle in Politik und Gesellschaft losgebrochen und selbst der Bundeskanzler Scholz[1] sowie der Verfassungsschutzpräsident Haldenwang[2] haben sich zu Wort gemeldet. Der NRW-Ministerpräsident Wüst hat es auf den Punkt gebracht: „Die AfD ist eine gefährliche Nazipartei“.[3] Von den demokratisch orientierten Parteien sind allgemeine Bekenntnisse zur Vielfalt unseres Landes und Forderungen nach strafrechtlichen Konsequenzen zu hören. Es wurde spontan zu Demonstrationen gegen die AfD aufgerufen; auch ein Verbotsverfahren gegen die Partei wird von verschiedenen Seiten diskutiert.
Nichtsdestotrotz ist der überwiegende Teil der Gesellschaft beunruhigt und befürchten, dass nach kurzer Empörung wieder zur Tagesordnung übergegangen wird. Denn einerseits ist die Professionalität des Treffens in Potsdam, die Vernetzungsfähigkeit der Rechtsextremist/innen und die Finanzkraft, die hinter den Akteur/innen steckt, erschreckend. Andererseits handelt es sich bei den vorgestellten Vertreibungsplänen „nur“ um eine rassistische Zuspitzung von migrationsfeindlichen Positionen, die sich seit geraumer Zeit auch in der politischen Mitte breitmachen. So wurde das Treffen der Rechtsextremist/innen flankiert durch einen rechtsgerichteten gesellschaftspolitischen Diskurs, der in dieser Intensität seit der Veröffentlichung der ersten Pläne zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes im Herbst 2022 andauert.
Über die Parteigrenzen hinweg sind beinahe wöchentlich verbale Angriffe auf Menschen mit internationaler Familiengeschichte zu verzeichnen, die sie unter Generalverdacht stellen und Ressentiments schüren. Erinnert sei beispielsweise an die „Kleine-Pascha“-Äußerung, Behauptungen, die deutsche Staatsbürgerschaft würde „verramscht“ oder Flüchtlinge könnten sich in Deutschland die Zähne „sanieren“ lassen. Regelmäßig wird das Schreckensszenario eines Kontrollverlustes angesichts vorgeblich exzessiver illegaler Migration heraufbeschworen, das stehts mit Forderungen nach großflächigen Abschiebungen einhergeht. Es ist von angeblichen „Pull-Faktoren“ und „sozialen Hängematten“ die Rede, Bargeldleistungen sollen eingeschränkt werden. Es sprudelt nur so von Verunglimpfungen, Herabwürdigungen und Falschbehauptungen, die oftmals gegen Flüchtlinge oder pauschal gegen alle vermeintlichen Nicht-Deutschen gerichtet sind. Parallel dazu werden auch auf gesetzgeberischer Ebene Zugeständnisse an die AfD gemacht und rassistische Überzeugungen bedient. So stimmte Deutschland entgegen aller Warnungen, der Flüchtlingsschutz werde ausgehebelt, für die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Zudem wurde die Liste der sogenannten sicheren Drittstaaten erweitert und ein Abkommen mit Tunesien zum Abfangen von Migrantinnen und Migranten geschlossen. Zusammen mit der längst überfälligen Einführung der doppelten Staatsangehörigkeit wird zu Beginn des Jahres 2024 zugleich ein Abschiebegesetz verabschiedet. Passend dazu spricht sich der CDU-Vorstand in seinem jüngst beschlossenen Grundsatzprogramm für die Abschaffung des Individualrechts auf Asyl aus und gräbt mit dem Begriff „Leitkultur“ eine Forderung aus der rechtspopulistischen Ideenkiste aus.
Der Wettlauf um immer drastischere Vorhaben zur Bekämpfung von Migration und von Menschen mit internationaler Familiengeschichte hat unweigerlich zur Normalisierung rassistischer Haltungen geführt und ihnen ein demokratisches Mäntelchen verliehen. Auch zahlreiche sogenannte Leitmedien haben ihren Anteil an dieser Entwicklung. Außerdem ignorieren sie häufig, dass mehr als zwei Drittel der zugeordneten politisch motivierten Straftaten alleine aus der rechten Szene kommen.[4]
Da die demokratisch orientierten Parteien mit Unterstützung einiger Medien selbst daran mitgearbeitet haben, dass sich das Sag- und Machbare weit nach rechts verschiebt, ist es nicht verwunderlich, dass die Zustimmungswerte für die AfD rasant nach oben steigen. So mögen es viele – zu Recht – skandalös finden, dass hochrangige Positionen wie ein Landratsamt oder ein Oberbürgermeisteramt in Ostdeutschland kürzlich von der AfD gewonnen wurden. Ohne eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Hintergründen für diese „Erfolge“ wird die Partei aber auch in Zukunft mit Machtzuwächsen rechnen können. Angesichts der anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist hierfür höchste Eile geboten. Denn wer AfD wählt, wählt offensichtlich gleichzeitig die Demokratie ab.
Der Verlust von Vertrauen in die Demokratie wird sich ungebremst vergrößern und die Spaltung der Gesellschaft voranschreiten, wenn nicht konsequent gegengesteuert wird. Was nun gebraucht wird ist eine Allianz der demokratisch orientierten Parteien, die sich uneingeschränkt hinter die Menschen mit internationaler Familiengeschichte stellt und sich mit aller Deutlichkeit zur vielfältigen Einwanderungsgesellschaft bekennt. Das Heraufbeschwören von Überforderungsmythen muss der Vergangenheit angehören, ebenso wie die bequeme Angewohnheit, hausgemachte soziale oder wirtschaftliche Probleme zu ethnisieren und Menschen mit internationaler Familiengeschichte als Sündenböcke für jedwede gesellschaftliche Schieflage zu machen. Es ist offensichtlich, dass Rassismus und Rechtsextremismus nur glaubhaft geächtet werden können, wenn sich die demokratischen Parteien nicht entsprechende Positionen selbst zu Eigen machen.
Alle Menschen, die in unserem Land leben, ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihres Aufenthaltsstatus, müssen Respekt und Wertschätzung erfahren. Anstatt durch Hass und Hetze zu spalten, müssen die positiven Aspekte von Migration in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Anerkennung von Herkunftskulturen und -identitäten sowie die Förderung von mehrsprachigen und interkulturellen Kompetenzen sind zu verstärken und auszuschöpfen. Die Menschen mit internationaler Familiengeschichte gehören mit Ihren Potenzialen längst zu unserer Gesellschaft. Ihre unveränderbaren Herkunftsidentitäten stärken die Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten unseres Zusammenlebens. Die Potentialorientierung und die Schaffung von Chancengerechtigkeit sowie die unnachsichtige Bekämpfung von Rassismus sind das Gebot der Stunde. Mit der Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts geht die Bundesregierung einen wichtigen Schritt auf die Menschen mit internationaler Familiengeschichte zu. Besonders die Ermöglichung der doppelten Staatsangehörigkeit für alle wird die Demokratie stärken.
Als politische Vertretung der Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Nordrhein-Westfalen fordern wir die Landesregierung und alle demokratisch orientierten Fraktionen im Landtag NRW auf, sich für ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben in Vielfalt stark zu machen und weiteren Schaden von unserem Land und seinen Menschen abzuwenden. Denn die rote Linie ist längst überschritten worden.
[1] Vgl. z.B. Zeit Online: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-01/rechtsextremismus-treffen-potsdam-bundeskanzler-olaf-scholz-justiz
[2] Vgl. z.B. Tagesschau.de: https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/verfassungsschutz-haldenwang-rechtsextremismus-100.html
[3] Rheinische Post: https://rp-online.de/nrw/landespolitik/ministerpraesident-hendrik-wuest-die-afd-ist-eine-gefaehrliche-nazipartei_aid-105072885
[4] Vgl. Bundesministerium des Innern und für die Heimat, Politische motivierte Kriminalität im Jahr 2022 – Bundesweite Fallzahlen