Stellungnahme des Landesintegrationsrates NRW zum Gesetz zur Änderung des WDR-Gesetzes und des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen
23. November 2015Rückblick auf die Veranstaltung: „Flüchtlinge willkommen! Und dann?“
4. Dezember 2015Positionspapier des Landesintegrationsrates NRW vom 26.11.2015
2015 ist das Jahr der größten Einwanderung von Menschen nichtdeutscher Muttersprache in die Bundesrepublik Deutschland. Es ist ein „epochales Ereignis (…), dessen Ausmaß und Tragweite wir noch immer schwer erfassen können“. (Bundespräsident Gauck am 27.09.2015). Auch ohne die Ursachen dafür zu untersuchen und zu bewerten, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass es sich hier um eine nationale Aufgabe handelt, die in der kommenden Zeit bewältigt werden muss.
Die Einwanderung ist eine große Herausforderung auch für die Schule. Dies gilt für die Erstaufnahme der Kinder und Jugendlichen, wenn sie in Vorbereitungs- oder Seiteneinsteigerklassen aufgenommen werden. Dies gilt aber auch für die daran anschließende Schulzeit (nach spätestens anderthalb Jahren), wenn die Kinder und Jugendlichen in die Regelklassen kommen und dort gemeinsam mit allen anderen Schülerinnen und Schülern lernen. Von einer gelingenden Schulzeit mit guten Abschlüssen hängt für viele Kinder und deren Eltern in einem großen Maße auch eine gelingende Integration in diese Gesellschaft ab.
Der Landesintegrationsrat ist der Meinung: Wir müssen schon jetzt diese zweite Phase der Regelbeschulung vorbereiten, wir dürfen keine Zeit verstreichen lassen! Wenn die Schulen nicht genügend Möglichkeiten haben, sich auf diese Aufgabe vorzubereiten, dann drohen erhebliche Probleme mit Überforderungsgefühlen der Lehrkräfte, schlechten Lernleistungen und gegenseitigen Beschuldigungen. In diesem Falle würden rechtsradikalen Parolen Tür und Tor geöffnet. Dazu darf es nicht kommen.
Gerade im Bildungsbereich ist es notwendig, dass Einwanderung als Bereicherung begriffen wird. Das Lehren und Lernen in mehrsprachigen Klassen gibt die Chance, die Sensibilität für die deutsche Schriftsprache zu erhöhen und zugleich den gesamten Unterricht zu bereichern, wenn die natürliche Mehrsprachigkeit der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund und ihre Fähigkeit, in verschiedenen Kulturen zu leben eingebunden werden.
Diese Bereicherung ist allerdings an bestimmte Bedingungen gebunden, ohne die sie nicht wirksam werden kann. Der Landesintegrationsrat hält die folgenden Maßnahmen für unverzichtbar:
Sofortmaßnahme:
Unter den einwandernden Menschen sollten alle Lehrpersonen ausfindig gemacht werden. Sie werden kurzfristig mit befristeten Verträgen ausgestattet und sofort an den Schulen zur Unterstützung in den Vorbereitungs- bzw. Seiteneinsteigerklassen eingesetzt. Eine Verständigung mit den deutschen Lehrkräften ist auch ohne Kenntnis der deutschen Sprache möglich, z.B. auf Englisch.
Längerfristige Maßnahmen:
Eine breite Qualifizierungsmaßnahme der deutschen Lehrkräfte aller Fächer im Bereich Deutsch als Zweit- bzw. Fremdsprache, um den Erwerb der deutschen Schriftsprache und den Umgang mit komplexen Texten für alle Kinder zu sichern.
Ausbau des Herkunftssprachlichen Unterrichts. Die nichtdeutschen Sprachkenntnisse der Kinder und Jugendlichen dürfen nicht verloren gehen, sie müssen in der Schriftsprache ausgebaut werden.
Einstellung neuer Lehrkräfte, auch für den Herkunftssprachlichen Unterricht. Die zusätzlichen Aufgaben an den Schulen erfordern zusätzliche Lehrkräfte. Dazu gehört auch ein Aufstocken der Lehrkräfte für den Herkunftssprachlichen Unterricht auf den Stand des Jahres 2000 (ca. 1.200), also vor der Kürzung um ca. 1/3. Gleichzeitig sollte ein grundständiger Studiengang für Herkunftssprachliche Lehrkräfte in der Primarstufe eingerichtet werden (nach dem Vorbild der Sekundarstufe I und II an der Universität Duisburg – Essen, Standort Essen).
Die Einrichtung von Schwerpunktschulen, in denen in den Herkunftssprachen der Kinder unterrichtet wird.
Einführung verpflichtender Fortbildungen für alle Lehrerinnen und Lehrer im Bereich interkulturelle Kompetenz, die der Zusammensetzung der Schülerschaft angemessen sind. Ebenso muss die interkulturelle Öffnung der Verwaltungen zügig vorangebracht werden.
Eine praxisbegleitende Qualifizierungsmaßnahme für die zahlreichen ehrenamtlich tätigen Personen. Damit sie über einen längeren Zeitraum unterstützend tätig bleiben und ihre unersetzliche Arbeit fortführen können, benötigen sie breitere Kenntnisse über das Lernen mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher. Diese Maßnahme sollte in den Kommunen organisiert und gemeinsam von der Kommune und den freien Trägern durchgeführt werden. Insbesondere sind die Kommunalen Integrationszentren aufgefordert, Konzepte und Angebote zu entwickeln.
Eine besonders wichtige Rolle in der ehrenamtlichen Arbeit können die hier schon lange lebenden Migrantinnen und Migranten spielen. Sie haben einen besonderen Zugang zu den neuen Einwanderern und können sie am besten in ihren alltäglichen Problemen unterstützen. Der Landesintegrationsrat ruft deshalb alle Migrantinnen und Migranten auf, sich in vielfältiger Weise an dieser Arbeit zu beteiligen. Sie können sich an die Integrationsräte in den Kommunen wenden, die die politischen Ansprechpartner für dieses Thema sind. Die Integrationsräte befassen sich mit allen kommunalen Aufgaben der Integration und sind daher auch seitens der Kommunen in die Diskussion um Fragen der Integration von Flüchtlingen einzubinden. Denn sie sind die Experten für Konzepte interkulturellen Lernens und mehrsprachiger Angebote.
In NRW haben wir bereits viele Erfahrungen mit dem Lehren und Lernen in mehrsprachigen Klassen gesammelt. Die Probleme sind nicht neu, aber ihre Lösung ist noch drängender geworden. Die Herausforderung anzunehmen bedeutet vor allem, jetzt rasch die notwendigen Schritte einzuleiten, ehe es zu spät ist.
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